Adventskalender: Türchen #8

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Produktionsgeheimnis

Der Wind strich über ihr Gesicht, riss ihr die Mütze vom Kopf und wirbelte die Haare durcheinander. Katrin fuhr hoch – und fand sich in ihrem Bett. Glückselig ließ sie sich ins Kissen fallen. Die ganze Nacht ging das schon so, sie hatte kaum geschlafen und konnte nicht anders, als ständig zu grinsen. Es fühlte sich noch immer an, als würde sie neben Nicholas im Schlitten sitzen und fliegen. Wenn es nach ihr ginge, dann bräuchte das Gefühl auch gar nicht mehr zu verschwinden. Sie könnte ewig hier liegenbleiben und zurück in ihren Traum kriechen. Aber dann stand sie doch auf und setzte sich ans Fenster. Man konnte den Marktplatz von hier sehen, das Portal und rechter Hand den Schuppen mit den Schlitten.
Es klopfte. Erschrocken sprang sie auf. Sie war nicht angezogen, ihre Frisur völlig derangiert. So konnte sie doch nicht … “Moment, bitte!” Flugs schlüpfte sie in die überdimensionierten Wärmeklamotten, bündelte ihr Haar zu einem Zopf und öffnete noch immer breit grinsend die Tür.
“Guten Morgen”, begrüßte sie Nicholas freudig und spürte ihr Herz bei seinem Anblick einen Hauch schneller schlagen.
“Guten Morgen”, erwiderte er ebenso lächelnd. “Frühstück ist fertig.”
“Ich komme.”

Das Esszimmer der Santas war verlassen, als sie Nicholas dorthin folgte. Sie bedauerte, die anderen Familienmitglieder nicht treffen zu können, doch der Stapel Pancakes auf dem Tisch samt Duft im ganzen Raum machten das schnell wieder wett. Mit knurrendem Magen langte sie zu. Wenn sie länger hierbliebe, würde sie wahrscheinlich ernsthafte Gewichtsprobleme bekommen, so hungrig, wie Weihnachtsdorfluft und Schlittenfahrten sie machten.
Nicholas beobachtete sie grinsend. “Heute zeige ich dir die Fabrik, unsere Poststelle und die Wunscherfüllungsroutine.”
“Wunscherfüllungsroutine?”
Er nickte. “Ohne die läuft hier gar nichts. Unsere Wichtel sammeln jedes Jahr Millionen von Briefen ein. Ohne ein festes System könnten wir dem gar nicht gerecht werden. Und enttäuschte Kinder sind für uns eine Katastrophe.”
“Aber die unartigen? Die sind doch auch enttäuscht.”
“Enttäuschte brave Kinder.”
Sie stopfte sich schnell den letzten Bissen in den Mund. “Ich bin soweit.” Sein erneutes Grinsen ließ sie erröten. Aß sie etwa zu viel?
“Gut, dann los.”

Ihr Herz pochte noch einmal wild, als sie am Schuppen mit den Schlitten vorbeigingen. Ob sie fragen könnte? Nicholas bemerkte ihren sehnsüchtigen Blick offensichtlich nicht und schritt zielstrebig weiter, am Schuppen vorbei zur Fabrik. Im Vorraum traten sie sich gründlich die Füße ab – “Carlos kann Schmutz nicht ausstehen”, erklärte Nicholas kurz –, öffnete eine Tür, auf der mit schnörkeliger Schrift Poststelle stand, und trat ein.
Katrin blieb auf der Schwelle stehen. Sie blickte in einen hellen Raum, die Wände mit Holzregalen ausgefüllt, die wiederum mit überquellenden Kisten gefüllt waren. Vor den Regalen wirbelten zwergähnliche Wesen mit Baskenmützen und karierten Hemden, nicht nur hin und her, sondern über Leitern auch auf und ab. Eines der Wesen zog eine Kiste aus dem Regal und trug sie hinüber zu einem weißen Kasten, der es an Größe und Breite überragte. Auf Augenhöhe des Wesens prangte ein Monitor. Eine kleine Dame mit Hütchen und Tweetrock nickte dem Träger zu und zeigte auf eine Stelle, wo die Kiste abgestellt werden sollte. Sie griff sich einen Brief, überflog ihn, nickte, warf einen Blick auf den Monitor, scrollte, scrollte, scrollte, nickte noch mal und der Brief landete neben dem Kasten in einem Sack. Der nächste Brief wurde genauso behandelt, landete aber nach dem finalen Nicken nicht im Sack, sondern in einem Schlitz direkt unter dem Monitor.
“Hier beginnt die Wunscherfüllungsroutine”, erklärte Nicholas. “Die Wichtel im Außendienst sammeln die Briefe an Santa ein und bringen sie zu einer Sammelstelle, dort werden sie von einem Postbeamten geholt und morgens zusammen mit den Briefen aus Weihnachtsmann Postämtern hergebracht – und ja, solche Orte gibt es, in Himmelpfort habt ihr eines in Deutschland. Ein paar übereifrige Kinder schreiben zum Glück ihre Wunschzettel schon früh im Jahr, die bekommen dann aber auch was im Ersten stand und nicht das, was sie sich eventuell später noch wünschen. Gerade wenn die Dankesbriefe abebben, trudeln die ersten Wunschzettel schon ein, sodass die Poststelle fast das ganze Jahr zu tun hat. Die Wichtel hier sortieren die Briefe. Wer in den letzten drei Jahren beschenkt wurde, wird direkt aussortiert, die anderen werden gescannt.”
“Die Kinder werden nur alle vier Jahre beschenkt?”
Nicholas grinste. “Aber nein. Wir lassen uns traditionell von den Eltern helfen.”
Katrin beobachtete die Wichtel noch einen Augenblick. Sie schenkten ihr keinerlei Beachtung, schienen ganz in ihrem Element zu sein. Nicholas führte sie weiter zur anderen Seite des Kastens. Dort kam der eben gescannte Brief aus einem Schlitz heraus. Eine Wichtelin las ihn sorgfältig, schaute auf einen Monitor, wieder auf den Brief und den Monitor, bis auch sie die Prozedur mit einem Nicken abschloss und den Brief in einen anderen Schlitz verschwinden ließ.
“Hier werden die Wünsche auf Erfüllbarkeit geprüft”, sagte Nicholas. Die Wichtelin warf ihm bei diesen Worten einen Blick zu.
Katrin selbst fühlte sich, als wäre sie Luft. “Hier werden die Wünsche also abgenickt. Und wenn sie nicht erfüllbar sind?”, fragte sie und erhob leicht ihre Stimme, was aber bei der Wichtelin keine Beachtung fand.
Nicholas zuckte mit den Schultern. “Dann lassen wir uns etwas einfallen.”
“Und wohin verschwinden die Briefe in diesem Schlitz?”
“Dort hinten.” Er zeigte zur Kopfseite des weißen Kastens. “Abschließend wird überprüft, ob das Kind brav war oder eben nicht.”
“A – ha. Und das ist dann die Wunscherfüllungsroutine?”
“Genau.” Wie auf Befehl sprang eine Tür am Ende des Raumes auf und ein Wichtel mit einem riesigen Fächerordner kam heraus.
“Lass auf!”, rief Nicholas ihm zu und deutete Katrin an, ihm zu folgen.

Hinter der Tür befand sich ein Schreibtisch und dahinter wiederum Carlos, der gerade konzentriert einen Brief las.
“Guten Morgen”, sagte Nicholas und zu Katrin gewandt: “Hier arbeitet Carlos, Angestellter und gute Seele unserer Poststelle.”
“Guten Morgen”, antwortete Carlos fröhlich, erblickte Katrin und hob die Augenbrauen. “Und Sie sind?”
“Das ist Katrin”, antwortete Nicholas.
“Die Briefschreiberin”, sagte Carlos tonlos.
Katrin verstand die Bemerkung nicht. “Eine von vielen, wie ich sehe.”
“Wie man sieht”, antwortete er, warf Nicholas einen Blick zu und steckte den eben gelesenen Brief in eine Fächermappe.
Katrin schaute irritiert zwischen den beiden hin und her. War Carlos errötet oder bildete sie sich das ein?

Nicholas nahm ihren Arm. “Und jetzt stelle ich dir meine Schwägerin Claudia vor.” Er führte sie aus dem Büro heraus und öffnete eine Tür mit der Aufschrift: Planungsbüro. Claudia lag halb auf einem Tisch, studierte darauf eine Weltkarte und tippte Koordinaten in ihr Handy. Sie schaute kurz auf, sagte: “Ah, der Besuch” und widmete sich wieder der Karte. Plötzlich fuhr sie hoch, fuchtelte mit den Händen, bis aus ihren Fingerspitzen Strukturen flossen, die sich vor ihren Augen verdichteten und zu einer dreidimensionalen Landkarte formten. Claudia suchte darauf Punkte, zeichnete eine Linie und übertrug sie in eine Liste.
“Claudia plant unsere Flugrouten. Sie ist ein echtes Ass darin. Ohne sie wären wir doppelt so lange unterwegs und könnten die Kinder nur alle sieben Jahre beschenken”, erklärte Nicholas.
“Wenn ihr Überstunden macht”, warf Claudia mit einem spöttischen Lächeln ein, ohne von ihrer Tätigkeit abzulassen.
“Und sie kann Landkarten in die Luft schreiben”, bemerkte Katrin.
“Und was für welche”, antwortete Nicholas und nahm wieder Katrins Arm. “Aber wir sollten sie nicht stören, sonst verplant sie sich und wir müssen wirklich Überstunden machen.” Er zwinkerte Claudia zu und führte Katrin hinaus.

Vor der Tür holte sie tief Luft. “Sie mögen mich nicht so sehr hier, oder?”
“Naja”, Nicholas errötete, “Besuch gehört nicht zu unserer Routine.”
“Zeigst du mir deine magische Fähigkeit nochmal?”
“Aber gerne.” Mit einem breiten Grinsen entblößte er seine Handgelenke, ließ Eiszapfen heraustropfen und warf sie an den Türsims. Wie von Zauberhand reihten sie sich aneinander, schmückten den Rahmen wie ein Tor in einen Winterzauberwald.
“Ach”, sagte Katrin und spürte zum wohl tausendsten Mal an diesem Morgen ihr Herz pochen. “Und was machen wir jetzt?”

Behind the Scenes

Heute führt die Adventskalender-Großmeisterin Paula Roose uns in die Welt der Geschenke ein, einen kleinen weiteren Einblick wird es morgen noch geben, denn auch ihr Kapitel fiel der Teilschere zum „Opfer“. Hier mussten wir ein bisschen basteln, denn wenn verschiedene Autorinnen eine Geschichte schreiben, dann schreibt jede ein bisschen anders. Irina hatte in ihrem ersten Kapitel die Postlieferung mit dem Transporter beschrieben, bei Paula wuselten die Wichtel mit ein paar mehr Briefen rum (Die Bezeichnung stammt übrigens aus Eva’s erstem Kapitel, denn vorher hießen sie noch „Helfer“).
Wie also machten wir daraus etwas Stimmiges?
Wir führten zwei verschiedene Wichtel-Arten und übereifrige Kinder ein! 😀

Von Himmelpfort hab ich euch ja schon ein paar Mal erzählt, da war es doch nur richtig, es auch hier nochmal zu tun. 😉
Es ist übrigens Nebu zu verdanken, dass Katrin aus Deutschland kommt. Ihr Kapitel klang so sehr danach, dass ich es dabei belassen habe, auch wenn ich mehr an ein amerikanisches Setting gedacht habe. Aber so passt es viel besser. 😀

PoiSonPaiNter

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PoiSonPaiNter

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