Offenbarung
FĂŒr den Rest der Nacht holte Katrin die restlichen Decken, um sie beide darin einzuwickeln. Nicholas hatte derweil die Stelle gefunden an der er sich auch mit den Fesseln hinsetzen konnte; schlieĂlich waren sie zum Festhalten und nicht zum Foltern gedacht. Sie setzten sich dicht nebeneinander, um sich auch gegenseitig WĂ€rme zu spenden. Damit sie es beide bequem hatten, legte Nicholas seinen Arm um Katrin, da die Kette ihr sonst in den RĂŒcken drĂŒcken wĂŒrde. Sie strĂ€ubte sich zwar erst etwas dagegen, gestand sich dann aber ein, dass es so wesentlich angenehmer war.
FĂŒr eine Weile musste Katrin ihm davon erzĂ€hlen, was sie getan hatte, um die Verwandlung umzukehren. Dabei lieĂ sie allerdings ihren Fehlversuch aus, das war ihr dann doch zu peinlich einem nur leicht bekleideten Nicholas gegenĂŒber. Allein der Gedanke lieĂ sie rot werden und auch seine wiederholten Nachfragen Ă€nderten nichts an ihrer Entscheidung. Nicht viel spĂ€ter ĂŒberkam Katrin schlieĂlich die Erschöpfung. Der Weg durch den Schnee und ihre Sorge um Nicholas forderten ihren Tribut. Ihren Kopf an Nicholasâ Schulter gelehnt schlief sie schlieĂlich ein.
Am nĂ€chsten Morgen wurden sie von einem erstaunten âNicholas!â geweckt. Katrin hob den Kopf und konnte den Umriss, der sich ihnen nĂ€herte, erst als Nicole erkennen, als sie schon vor Nicholas kniete und ihn fest in die Arme schloss.
âDu- ihr- was?â, fragte sie, lehnte sich etwas zurĂŒck und sah verwirrt zwischen ihnen hin und her.
âGuten Morgenâ, begrĂŒĂte Nicholas sie mit einem breiten Grinsen, was Nicole zum Lachen brachte. Es war ein erleichtertes, fröhliches Lachen.
âWie habt ihr das geschafft?â, brachte sie schlieĂlich hervor.
âDas wissen wir selbst nicht so genau âŠâ, gab Nicholas beschĂ€mt zu. âKatrin hat auf mich eingeredet und ich hab darauf reagiert âŠâ
âHauptsache, du bist wieder du selbst!â Nicole schĂŒttelte lĂ€chelnd den Kopf. Eigentlich wollte sie mit Katrin schimpfen, weil sie einfach mitten in der Nacht alleine in die Höhle gegangen war, aber sie konnte nicht. Das Ergebnis dieser wahnsinnigen Aktion war schlieĂlich ihr kleiner Bruder, der nun nicht mehr von Fell bedeckt war.
âIhr mĂŒsst beide ja total durchgefroren sein âŠâ, war alles, was sie sagen konnte und rieb Nicholas ĂŒber die Arme.
âEs geht. Mors Decken haben geholfenâ, winkte Nicholas ab und klirrte dabei mit der Kette. âNur die sind etwas lĂ€stigâ, ergĂ€nzte er mit einem LĂ€cheln.
Nicole erwiderte es und prĂ€sentierte lĂ€ssig den SchlĂŒssel, den sie aus ihrer Jackentasche gezogen hatte. âNa dann wollen wir dich mal davon befreien.â
Von den Ketten befreit rieb Nicholas ĂŒber seine aufgeschĂŒrften Handgelenke. Katrin hatte ihm erzĂ€hlt, wie sehr er sich gegen seine Fesseln gewehrt hatte, aber es so zu sehen, war nochmal etwas anderes.
Nicole zog sanft seine Hand weg. „So machst du es nur noch schlimmer.“
Er gehorchte und fing damit an sich erstmal ausgiebig zu strecken. Die Decke um seine Schulter hatte er dafĂŒr abgelegt. Katrin sah beschĂ€mt zur Seite, denn die provisorisch um seine HĂŒfte gelegte Decke verdeckte nicht sonderlich viel.
âHĂ€tte ich gewusst, dass du ne Enthaarungskur gemacht hast, hĂ€tte ich dir Sachen mitgebrachtâ, kommentierte Nicole als die Decke vollends den Halt verlor. Vorwurfsvoll blickte sie zu Katrin, die immer weiter in sich zusammensank.
âEs ist doch nicht ihre Schuld, dass wir hier drauĂen keinen Empfang habenâŠâ, gab Nicholas zu Bedenken. Er wollte damit Katrin zur Seite stehen, aber dass er dabei mit hochrotem Kopf die Decke wieder um seine HĂŒfte band, half nicht gerade.
Nicole schĂŒttelte nur den Kopf und hob eine weitere Decke auf, die sie ihrem kleinen Bruder mit einem aufrichtigen LĂ€cheln um die Schultern legte. âJetzt sorgen wir erstmal dafĂŒr, dass du ins Warme kommst.â
Mit ihren FĂ€higkeiten hielt Nicole den Schnee, der auf sie hinab rieselte davon ab sie zu erreichen und sorgte dafĂŒr, dass der bereits liegende zu einer festen FlĂ€che wurde. Zumindest wenn sie Nicole in direkter Linie folgten, was Katrin am eigenen FuĂ erfuhr, der bei einem Fehltritt tief in den Schnee einsank. Schmunzelnd half Nicholas ihr auf die Beine, wĂ€hrend Nicole es ihr knapp erklĂ€rte.
Nach einer gefĂŒhlten Ewigkeit erreichten sie endlich das Haupthaus. Katrin war trotz wĂ€rmender Decke komplett durchgefroren. Sie wollte sich gar nicht vorstellen, wie es Nicholas ging, der BarfuĂ durch den Schnee lief.
Nicole öffnete die TĂŒr. Geschirrklappern und GesprĂ€che drangen zu ihnen hinaus und hielten schlieĂlich inne.
âIst alles in Ordnung?â, fragte Natascha besorgt. Ihr Stuhl schabte ĂŒber den KĂŒchenboden.
âSchaut mal, wen ich mitgebracht habeâ, verkĂŒndete Nicole stattdessen freudig und machte Platz fĂŒr Nicholas, der mit eingezogenem Kopf durch die TĂŒr ging.
âNicholas âŠâ, hauchte Natascha und schloss ihren Sohn sogleich fest in die Arme und auch seine anderen Familienmitglieder kamen auf ihn zu, um ihn willkommen zu heiĂen.
Katrin drĂ€ngte sich an ihnen vorbei in die warme KĂŒche. Sie lĂ€chelte und war einfach nur froh, dass ihr kleines Abenteuer ein solches Ergebnis erzielt hatte.
Kaum war die erste Welle der stĂŒrmischen Umarmungen verflogen und alle hatten sich etwas beruhigt, da piepte Katrins Handy wie wild los. Alle sahen sie an und peinlich berĂŒhrt schaute sie, was das GerĂ€t wollte. 7 verpasste Anrufe, 3 Nachrichten und 5 neue E-Mails prangten auf ihrem Display, alle von der gleichen Person: Dem Vater, dem sie die Seiten zur Ăbersetzung gegeben hatte. Nervös öffnete sie die erste Nachricht und ĂŒberflog sie. Ein LĂ€cheln begann sich auf ihrem Gesicht auszubreiten.
âHabe auf einem Symposium einen Kollegen getroffen, der die Sprache spricht. Es handelt sich um eine Mischung aus Alt-Norwegisch und der Sprache der Sami. Er war so begeistert, er wird sich umgehend um eine Ăbersetzung bemĂŒhenâ, stand dort in den kleinen digitalen Buchstaben. Die zweite Nachricht verkĂŒndete, dass sie die Ăbersetzung am Ende des Tages erwarten könnte. Die dritte verwies auf eine E-Mail. Schnell wechselte sie das Programm, noch immer unter den verwirrten Blicken der Familie. âIm Anhang die fertige Ăbersetzung.â Katrin konnte sich ein freudiges Quieken nicht verkneifen und öffnete diesen hoffnungsvoll. Sie las die Ăbersetzung und las sie noch ein zweites Mal, um sicherzugehen, dass sie alles richtig verstanden hatte. Das LĂ€cheln wurde zu einem breiten Grinsen als sie den ungeduldig Wartenden verkĂŒndete: âDie Ăbersetzung ist da.â
âNa, lies schon vor!â, drĂ€ngte Nick, aber es war Nicholas auf dessen Antwort sie wartete. Als er kaum merklich nickte, begann sie zu lesen.
âDer Krampus-Zauber ist einer der Ă€ltesten und mĂ€chtigsten Schutzauber Joulkys,â, Katrin musste ĂŒber die Schreibweise âJulkiâ schmunzeln, aber vielleicht wurde es frĂŒher so geschrieben, âder seinen Wirt mit besonderen FĂ€higkeiten ausstattet, um das Dorf und die Familie zu schĂŒtzen. Mit seiner FĂ€higkeit, die Bösartigkeit eines Menschen zu erspĂŒren, kann er Gefahren bereits abwenden, bevor sie zu einer Bedrohung werden. Durch die Verwandlung in die Bestie gewinnt der Wirt an Schnelligkeit und StĂ€rke. Jedoch sind diese Vorteile nur nutzbar, sofern der Wirt seine Menschlichkeit nach der ersten Verwandlung, seiner âWilden Phaseâ, zurĂŒckerlangt.â Katrin machte eine Pause um Luft zu holen und die Gesichter zu betrachten. Der Krampus war kein Monster, er war ein BeschĂŒtzer! Nicholas war der neue BeschĂŒtzer des Dorfes! Doch noch schien diese Nachricht nicht angekommen zu sein, denn er starrte lethargisch zu Boden, wĂ€hrend Nicole nachfragte, ob das alles war. Katrin schĂŒttelte den Kopf und las weiter. âStirbt ein Krampus-Wirt sucht sich der Zauber einen neuen aus dem Kreis der Familie. Einst ging man davon aus, dass der Zauber von der gröĂten Quelle der Wut angezogen wurde, heute wissen wir jedoch mit Bestimmtheit, dass fĂŒr die Wahl des nĂ€chsten Wirtes dessen vorhandener Hass eine stĂ€rkere Rolle spielt.â Dieser Abschnitt hatte sie schon beim vorherigen Lesen verwirrt. Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, dass jemand wie Nicholas einen solchen Hass in sich tragen könnte. âWurde ein neuer Wirt gefunden, so dauert es bis zu den nĂ€chsten RauhnĂ€chten, dass die Verwandlung beginnt und sich unterschiedlich schnell ausbreitet, bis er vollkommen zur Bestie wird. Nur durch eine Konfrontation mit seiner eigenen Menschlichkeit und der Wahrheit ĂŒber seine Situation, kann der Wirt aus der Wilden Phase herausgerissen werden und seinen Aufgaben gezielt nachkommen.â Katrin schluckte, bevor sie weiterlas: âGelingt es nicht, den Krampus-Wirt aus der Wilden Phase zurĂŒckzuholen, so muss er einem magischen Ende zugefĂŒhrt werden, damit ein anderer Wirt seinen Platz einnehmen kann.â Damit schloss sie. Das Dokument endete mit einem Hinweis auf kommende Ăbersetzungen, da der Text wesentlich lĂ€nger gewesen war, sie aber vor allem um Passagen zur Verwandlung und Entstehung gebeten hatte. Allerdings hatte sie das Vorwort verschwiegen: âUm das Wissen ĂŒber den Krampus zu bewahren, schreibe ich diese Zeilen. Mögen sie kommenden Generationen dienen den kommenden Krampus-Wirten auf ihrem Weg zu helfen.â Das wĂŒrde Ephraim mit seinem Gewissen ausmachen mĂŒssen.
Ăber den Raum hatte sich Schweigen gelegt, es fĂŒhlte sich an, wie die Ruhe vor dem Sturm.
âWen hasst du?â, brach es schlieĂlich aus jemandem heraus. Katrin konnte nicht sagen wer es war, denn die Stimmen ĂŒberschlugen und vermischten sich, als sie auf Nicholas eindrĂ€ngten.
âWas hasst du?â
âDu bist doch immer so freundlich zu jedem!â
âMICH!â, brach es schlieĂlich aus Nicholas hervor und er presste seine HĂ€nde gegen seine Stirn. âIch bin ein Nichtsnutz, ein VersagerâŠâ, brummte er erschöpft, âIch kann von allem ein bisschen, aber nichts wirklich gutâŠâ Zwischen seinen Haaren brachen langsam die Hörner erneut hervor, aber seine Familie starrte ihn lediglich verwirrt an. Da niemand von ihnen reagierte, nahm Katrin es auf sich, ihn von den anderen wegzudrehen.
âSieh mich anâ, forderte sie ihn auf und fixierte sein Gesicht mit beiden HĂ€nden in ihre Richtung. Seine sonst so dunklen Augen hatten sich bereits aufgehellt und suchten hektisch nach Halt. âNicholasâ, versuchte sie erneut seine Aufmerksamkeit zu erlangen, vehement und mit einer Ruhe, die nicht ihr Innerstes erreichte; wie bei einem verĂ€ngstigten Kind. Endlich blieben seine Augen auf den ihren ruhen.
âDu bist kein Versager, es ist nur dein Kopf, der dir das einreden will!â, versuchte sie ihm klar zu machen, âDas ist ganz normal. Es gibt sogar viele Leute, die so denken. Du bist damit nicht allein.â Mit einem aufmunternden LĂ€cheln fuhr sie fort: âIn meiner Welt gibt es Ărzte – Psychologen – die dir helfen können mit diesen Gedanken zu leben, damit sie dich nicht kaputt machen. Aber nur, wenn du das auch willst.â
âEinen Arzt? Der Junge ist doch nicht krank!â, protestierte Nikolaus abweisend.
Nicholas zuckte zusammen, doch Katrin lieĂ ihn nicht los.
âDoch ist er!â, widersprach Claudia und strich Nicholas beruhigend ĂŒber die Schulter, âWenn sein Selbsthass so stark ist, dass der Krampus-Zauber ihn fĂŒr wĂŒrdig hĂ€lt, dann braucht er dringend HilfeâŠâ Ăber Nicholasâ Schulter hinweg sah sie zu Katrin, die zustimmend nickte. BedrĂŒckendes Schweigen hatte sich ĂŒber den Raum gelegt und Katrin spĂŒrte, wie Nicholas langsam anfing zu zittern. Seine Augen verdunkelten sich wieder und ohne Vorwarnung krallte er sich an sie, sein Gesicht an ihrer Schulter verborgen. TrĂ€nen benetzten ihre Jacke und alles was sie tun konnte war, ihm in beruhigenden Kreisen ĂŒber den RĂŒcken zu streichen.
Nachdem er sich gefangen hatte, richtete er sich wieder auf, sah sie betrĂŒbt an und flĂŒsterte: âEs tut mir Leid.â
âDas braucht es nichtâ, versicherte sie ihm. âAber jetzt brauche ich erstmal eine warme Dusche und du auchâ, versuchte sie ihn abzulenken und klopfte ihm aufmunternd auf den Oberarm.
Verstohlen blickte Nicholas an sich herab und murmelte: âEtwas zum Anziehen wĂ€re auch gutâŠâ
âDas wollte ich jetzt nicht nochmal extra betonenâŠâ, gab Katrin zu und beiden stieg die Röte ins Gesicht.
âGeht, Claudia kann uns alles erklĂ€renâ, bestimmte Nicole und wuschelte ihrem kleinen Bruder durch die Haare.
Dieser blickte sie dankbar an und lieĂ sich dann von Katrin hinausbegleiten.
Als sie im Flur ankamen blieb Nicholas nachdenklich stehen und Katrin drehte sich fragend zu ihm um.
âIch- Du- Kannst du- Kannst du noch ein paar Tage hier bleiben?â, fragte er sie, den Blick unsicher zu Boden gerichtet. âUnd-und mir⊠mir helfen jemanden zu finden⊠der mir glaubt ..?â
âNatĂŒrlichâ, versicherte sie ihm mit einem halben LĂ€cheln, âauĂerdem brauchst du dich nur zu verwandeln, dann glaubt dir jeder.â Als Nicholas mit einem Schmunzeln reagierte, fĂŒgte sie ernster hinzu: âUnd wenn es dir hier zu viel wird, hast du ja mein Haus gesehen.â
Er nickte erschöpft. âDanke.â
âDafĂŒr nichtâ, widersprach Katrin mit einem dezenten KopfschĂŒtteln. âUnd jetzt ab unter die Dusche mit dir.â
Mit einem letzten LĂ€cheln wandte Nicholas sich zum Bad, wĂ€hrend Katrin ihm noch einen Moment lang hinterher sah. Sie dachte ihre erste Begegnung mit ihm war schon merkwĂŒrdig gewesen, aber nun half sie einem depressiven Krampus-Santa auf die Beine zu kommen. Das wĂŒrden ihr noch viel weniger Leute glauben âŠ
Behind the Scenes
Wir haben das Ende erreicht, das ursprĂŒnglich drei Kapitel waren. Ja, es ist ein offeneres Ende, aber ich hab schon ein paar Ideen, wie es mit Nicholas und Katrin weitergehen soll … đ
Es war ein anstrengender und interessanter Weg hier her – und ich meine nicht nur die Geschichte – und ich möchte auch an dieser Stelle nochmal ein
GANZ GROĂES DANKE!
an die Autorinnen, die mir bei dieser Geschichte geholfen haben, senden:
Irina Christmann, Anne Danck, Marina von DarkFairys Senf, Nebu, Eva-Maria Obermann und Paula Roose!
Ohne euch hÀtte ich das dieses Jahr nicht geschafft!
Ich hoffe alle Leser*innen und Autorinnen hatten SpaĂ – und Letztere waren nicht zu arg genervt, wenn ich doch nochmal was geĂ€ndert haben wollte bzw. geĂ€ndert habe. đ
Damit wĂŒnsche ich uns:
Besinnliche Feiertage und vielleicht noch ein paar Flocken Schnee, die unsere Zuhause zu einem kleinen Joulky machen. đ
PoiSonPaiNter
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I’m sorry so far there is no translation of this door
PoiSonPaiNter
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