Category Archives: Guestpost

Sage mal, Märchen?

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Im Verlauf des Märchensommers stellen meine Gastautor*innen ja gerne mal einige Dinge in Frage. Heute zum Beispiel beschäftigt sich Carmen Capiti mit der Frage, was nun eigentlich der Unterschied zwischen einem Märchen und einer Sage ist.

Das Märchensommer Banner zeigt eine Scherenschnitt-Fee, die Glitzer auf den verschnörkelten Schriftzug "Märchensommer" über einem aufgeschlagenen Buch streut. Alles vor einer grünen Wiese neben einem Baum und Sonnenstrahlen im Hintergrund.

Märchen und Sagen – ein Vergleich

Hach ja, Märchen! All diese wunderbaren Geschichten, die die meisten von uns schon seit unserer Kindheit begleiten.

Ich persönlich kenne die meisten (weichgespülten) Märchen ja vermutlich durch Walt Disney. Andere würden sagen, dass ihre Eltern und Großeltern ihnen früher bereits Märchen vorgelesen haben. Bei mir waren dies aber vielmehr alte Sagen und Legenden aus unserer Region.

Aber was sind Märchen denn eigentlich ganz genau? Und was unterscheidet sie von anderen Geschichten, insbesondere von Sagen?

Ich bin keine Sprachwissenschaftlerin und habe keine Literatur studiert. Trotzdem versuche ich, die oben gestellten Fragen anhand kleiner Beispiele zu beantworten.

Als Erstes stelle ich euch dazu das wunderschöne selbstgeschriebene Märchen von Laura Kier »Kirschen im Winter?« vor.

In diesem Märchen ist Jack Frost, eigentlich verantwortlich für den Winter, müde geworden von seinem Streit mit Sian Morgenröte. Da erhält er aber unverhofft Besuch von Rocks, einem sturen Schaf, das sich in den Kopf gesetzt hat, dass Kirschen und grüne Wiesen im Winter gefälligst nichts zu suchen haben.

Was definiert »Kirschen im Winter?« als Märchen?

  • Es gibt keine konkrete Zeit- oder Ortsangabe. Märchen finden meistens »Vor langer, langer Zeit…« In einem »weit entfernten Königreich« statt.
  • Es gibt sprechende Tiere. Rocks ist ein sprechendes Schaf und weder Jack Frost, noch der Leser wundert sich wirklich darüber.
  • Es beinhaltet weitere fantastische Elemente, die wie Alltäglichkeiten behandelt werden. Beispielsweise ist zweifellos klar, dass Jack Frost dafür verantwortlich ist, dass es den Winter gibt.

Im zweiten Schritt nehme ich mir folgende beiden Bücher vor[, die gestern hier vorgestellt wurden]:

In »Das Sagenbuch zum Stephansdom« sammelt die Autorin alte Sagen rund um den Stephansdom in Wien. Diese Sammlung hat sie jedoch auch um zwei eigene Sagen ergänzt, in denen sie auf aktuellere Geschehnisse Bezug nimmt.

»Die Geister von Ure« ist ebenfalls eine Sagen-Sammlung, jedoch habe ich hier eine Handvoll Innerschweizer Bergsagen genommen und diese zu einer einzigen, zusammenhängenden Geschichte verwoben. Wichtig ist hier, dass das Buch zwar in einer fiktiven Welt stattfindet, ich jedoch mit allen Ortschaften und vielen Personen und Geschehnissen auf reale historische Hintergründe anspiele.

Beide Bücher zeigen die Charakteristiken einer Sage:

  • Es gibt klare historische Bezüge in den Geschichten. In »Die Geister von Ure« wird beispielsweise auf das Interesse der Habsburger am Gotthard-Pass und den daraus resultierenden Konflikt Bezug genommen.
  • Es gibt konkrete Ort- und Zeitangaben. »Das Sagenbuch zum Stephansdom« behandelt ganz spezifisch den Stephansdom und die Ereignisse, welche sich darum ranken.
  • Die Geschichten folgen nicht immer den Naturgesetzen. In »Die Geister von Ure« gibt es beispielsweise Naturgeister, welche nach ihrem Willen Lawinen und Bergstürze auslösen können oder Tiere zu Monstern mutieren lassen. Beim Stephansdom erzählt man sich unter anderem, dass Gott Brot zu Stein hat werden lassen, um eine hartherzige Frau zu bestrafen.

Die Unterschiede zwischen Märchen und Sagen sind mit den Beispielen schon mal deutlich. Wo aber überschneiden sich nun diese Erzählungen nun?

Beide umfassen fantastische, übersinnliche Elemente, was sie auch zu einem Vorreiter der Phantastik machen. Beide haben außerdem das Ziel, zu belehren. Schon die Brüder Grimm schrieben im Vorwort ihres Buches, dass es als Erziehungsbuch dienen sollte.

Die Nachricht von Märchen sind häufig moralischer Natur. »Kirschen im Winter?« überträgt die Nachricht, dass man nicht nachtragend sein sollte und ein ehrliches Gespräch häufig viele Probleme aus dem Weg schaffen kann. (Und dass Schafe einfach toll sind, aber das ist vermutlich meine eigene, moralfreie Interpretation…)

Die Sagen, welche sowohl in »Das Sagenbuch zum Stephansdom« und teilweise in »Die Geister von Ure« behandelt werden, fußen meistens im Christentum. Sie versuchen, den Menschen aufzuzeigen, wozu Gott und Teufel fähig sind und womit man rechnen muss, wenn man sich mit ihnen anlegt.

Beides – Märchen sowie Sagen – sind also Geschichtsgattungen, welche den Menschen ermahnen sollen, ein gutes und anständiges Leben zu leben – wobei die Definition eines solchen Lebens sich natürlich durchaus auch gewandelt hat. Und das Wichtigste: Beide Gattungen bringen eine satte Portion Phantastik mit.

Die Autorin

Carmen Capiti wuchs in der Zentralschweiz auf und arbeitet heute in Zürich im Bereich der Informationssicherheit. Das Schreiben entdeckte sie in frühen Jahren auf der Schreibmaschine ihrer Großeltern und verfasste während ihrer Schulzeit diverse Zeitungsartikel und Kurzgeschichten. 2015 gründete sie mit drei weiteren Autorinnen den Verein Schweizer Phantastikautoren.

Ihr Debüt-Roman „Das letzte Artefakt“ erschien im März 2015 und wurde nominiert für den SERAPH 2016 – Bestes Debut. Seither veröffentlichte sie den phantastischen Roman „Die Geister von Ure“ sowie die beiden ersten Bände ihrer Cyberpunk-Trilogie (Maschinenwahn, Maschinenschmerz).

Homepage: Carmen Capiti
Instagram: carmencapiti

„Die Geister von Ure“, sowie „Die Perlmuttschmetterlinge“ von Laura Kier könnt ihr im Verlauf des Märchensommers als E-Book und/oder Print gewinnen!

Anne/PoiSonPaiNter

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Lies auf Deutsch

Das Märchensommer Banner zeigt eine Scherenschnitt-Fee, die Glitzer auf den verschnörkelten Schriftzug "Märchensommer" über einem aufgeschlagenen Buch streut. Alles vor einer grünen Wiese neben einem Baum und Sonnenstrahlen im Hintergrund.

In during the fairy tale summer my guest author*esses like to challenge some things. Today, for example, it is Carmen Capiti who asks the question of what is actually the difference between a fairy tale and a legend.

Fairy tales and legends – a comparison

Ah, yes, fairy tales! All these wonderful stories that have accompanied most of us since childhood.

Personally, I probably know most (softened) fairy tales through Walt Disney. Others would say that their parents and grandparents used to read them fairy tales. For me, however, these were rather the old myths and legends from our region.

But what exactly are fairy tales? And what distinguishes them from other stories, especially legends?

I am not a linguist and have not studied literature. Nevertheless, I try to answer the questions above by means of small examples.

First of all, I would like to introduce you to Laura Kier’s beautiful self-written fairy tale »Kirschen im Winter?« (Cherries in Winter?)

In this fairy tale Jack Frost, actually responsible for the winter, gets tired of his fight with Sian Dawn. But he unexpectedly receives a visit from Rocks, a stubborn sheep who has taken it into its head that cherries and green meadows have no place in winter.

What defines „cherries in winter“ as a fairy tale?

  • There is no specific time or location. Fairy tales usually take place „a long, long time ago…“ In a „far-away kingdom“.
  • There are talking animals. Rocks is a talking sheep and neither Jack Frost nor the reader is really surprised.
  • It contains other fantastic elements that are treated like everyday occurrences. For example, it is undoubtedly clear that Jack Frost is responsible for the winter.

In the second step I will look at the following two books[ which were presented here yesterday]:

In „Das Sagenbuch zum Stephansdom“ the authoress collects old legends about the St. Stephen’s Cathedral in Vienna. However, she has also added two legends of her own to this collection, in which she refers to more recent events.

„Die Geister von Ure“ is also a collection of legends, but here I have taken a handful of mountain legends from Central Switzerland and woven them into a single, coherent story. It is important here that the book takes place in a fictitious world, but I allude to real historical backgrounds with all the towns and many people and events.

Both books show the characteristics of a legend:

  • There are clear historical references in the stories. In „Die Geister von Ure“, for example, reference is made to the Habsburgs‘ interest in the Gotthard Pass and the resulting conflict.
  • There are specific dates and places. „Das Sagenbuch zum Stephansdom“ deals specifically with St. Stephen’s Cathedral and the events surrounding it.
  • Stories do not always follow the laws of nature. In „Die Geister von Ure“, for example, there are natural spirits that can trigger avalanches and landslides or mutate animals into monsters. In Stephansdom it is said, among other things, that God turned bread into stone to punish a hard-hearted woman.

The differences between fairy tales and legends are already clear with the examples. But where do these stories overlap then?

Both contain fantastic, supernatural elements, which also make them pioneers of fantasy. Both also have the goal of teaching. Already the Brothers Grimm wrote in the preface of their book that it should serve as an educational book.

The message of fairy tales is often a moral one. „Kirschen im Winter?“ conveys the message that one should not hold a grudge and that an honest conversation can often solve many problems. (And that sheep are just great, but that’s probably my own moral-free interpretation…)

The legends, which are dealt with both in „Das Sagenbuch zum Stephansdom“ and partly in „Die Geister von Ure“, are mostly based on Christianity. They try to show people what God and the devil are capable of and what to expect when dealing with them.

Both – fairy tales and legends – are thus literature genres which are intended to exhort people to live a good and decent life – although the definition of such a life has, of course, also changed. And the most important thing: Both genres bring along a rich portion of fantasy.

The authoress

Carmen Capiti grew up in Central Switzerland and now works in Zurich in the field of information security. She discovered writing in her early years on her grandparents‘ typewriter and wrote various newspaper articles and short stories during her schooldays. In 2015, together with three other female authors, she founded the Schweizer Phantastikautoren (Swiss Association of Fantastic Authors).

Her debut novel „Das letzte Artefakt“ (The Last Artifact) was published in March 2015 and was nominated for the SERAPH 2016 – Best Debut. Since then she has published the fantastic novel „Die Geister von Ure“ and the first two volumes of her cyberpunk trilogy (Maschinenwahn – Machine Delusion, Maschinenschmerz – Machine Pain).

Homepage: Carmen Capiti
Instagram: carmencapiti

Anne/PoiSonPaiNter

#CroMär: Kapitel 5

Reginas Oma hat ihr letzte Woche eine unglaubliche Geschichte erzählt, ob sie sich dadurch vom Ball abbringen lässt? Wies es weiter mit dem fünften Kapitel des #CroMär, des Crossover Märchens, könnt ihr heute lesen.

Kapitel 5 – Eingeschneit

Als Regina unten vor die Haustür trat, traute sie ihren Augen kaum: Schnee! Wohin sie auch blickte, alles war unter einer weißen Decke verborgen, ihr Fahrrad eingeschlossen. Sie blinzelte und kniff sich zur Sicherheit kurz in den Arm, doch der Schnee blieb. Sanft segelten noch einige Flocken vom Himmel und landeten auf ihrer ausgestreckten Hand, wo sie sogleich zu kleinen, kalten Wassertropfen wurden.
Regina schüttelte den Kopf. Ob sie nun auch noch halluzinierte? Wenn ja, lag das eindeutig an dem vermaledeiten Apfel, den Tante Susi ihr angedreht hatte. Wenn nein … War das überhaupt möglich, dass so schnell, so viel Schnee fiel? Sie war doch nur ein paar Minuten drinnen bei Oma gewesen.
Mit beiden Händen schaufelte Regina den Fahrradkorb frei, in dem sie das Essen für ihre Großmutter verstaut hatte. Vorsichtig schaute sie in die Plastikdose, die neben dem Kuchen auch den angebissenen Apfel enthielt, und zuckte zusammen: Der Apfel war wieder ganz, als hätte sie nie hineingebissen! Doch irgendwie sah der Kuchen anders aus. Vorhin war er noch saftig gewesen, jetzt wirkte er trocken und krümelig – als hätte er schon mehrere Wochen in der Dose zugebracht und nicht nur etwas mehr als eine Stunde.
Schnell drückte sie den Deckel fest zu, ergriff die Dose mit spitzen Fingern und schaute sich nach dem nächsten Mülleimer um. Dort verstaute sie den Plastikbehälter unter einer alten Zeitung, damit bloß niemand auf die Idee kam, Dose und Inhalt mitzunehmen.
Mit dem restlichen Essen kehrte Regina in die Wohnung zurück.

Während sie noch ihre Schuhe an der Fußmatte abstreifte, hörte sie ihre Oma aus dem Wohnzimmer rufen: „Komm schnell! Sie haben eine ganz sonderbare Eilmeldung durchgegeben!“
Regina hängte ihre Jacke an der Garderobe auf und stapfte dann auf Socken zu ihrer Oma.
„Du wirst nicht glauben –“ Ihre Oma stockte. Sie musterte Regina und an ihrem Gesicht konnte die sehr gut ablesen, wie die Rädchen hinter der Stirn ihrer Oma ratterten. „Was ist mit deinen Haaren passiert?“
Regina strich sich eine feuchte Strähne aus der Stirn. „Schnee“, sagte sie schlicht.
„Schnee?“ Ihrer Oma blieb der Mund offen stehen.
Regina deutete auf die flimmernde Mattscheibe des Fernsehers. „Das da.“
Ihre Oma folgte ihrem Blick. Zusammen sahen sie zu, wie ein sichtlich verwirrter Wettermann auf die hinter ihm eingeblendete Deutschlandkarte zeigte und den Zuschauern mitteilte: „Wie Sie sehen, gibt es in allen Teilen des Bundesgebiets Sonnenschein bei angenehmen, für die Jahreszeit schon fast überraschend hohen Temperaturen. Nur in einem Teil nicht. Dort ist ein drastischer Temperatursturz zu vermelden – mit Schneefall. Wir warnen vor plötzlicher Glätte und bitten Sie, vorsichtig zu sein.“ Er lachte nervös. „Schließlich wissen wir nicht, was das Wetter als Nächstes für uns bereithält. Vielleicht die nächste Eiszeit.“
Ihre Oma stellte den Ton aus und wandte sich Regina zu. „Schnee?“, wiederholte sie.
Regina nickte nur.
Ihre Oma schüttelte den Kopf. „Normal hätte ich das ja für einen schlechten Scherz gehalten. Versteckte Kamera oder so etwas, du weißt schon. Aber wenn du den Schnee gesehen hast …“
„Und gespürt.“
Ihre Oma schüttelte erneut den Kopf, doch zu Reginas Überraschung blieb sie stumm. Das passierte nicht oft. Normal hatte ihre Oma zu allem einen Spruch auf den Lippen – meistens ein Zitat aus einer ihrer Lieblingssoaps.

Statt weiter auf das Thema einzugehen, trug Regina die Plastikdosen in die Küche und stellte sie auf der Arbeitsplatte ab. „Hast du Hunger, Oma?“, rief sie über ihre Schulter. „Ich könnte dir etwas Lasagne aufwärmen.“
„Nein, nein, Liebling“, rief ihre Oma zurück. „Ich habe mir vorhin eine Tütensuppe gemacht. Das reicht erst mal.“
Regina grinste. Was das Essen anging, kam sie wirklich eher nach ihrer Oma als nach ihrer Mutter – die wiederum würde die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, wenn sie wüsste, was die beiden verspeisten, wenn sie nicht dabei war. Also räumte Regina das Essen und die zusätzlichen Lebensmittel, die ihre Mutter ihr mitgegeben hatte, in Omas Kühlschrank.
Dabei nahm sie aus dem Augenwinkel eine Bewegung war. Sie blinzelte und schaute noch einmal hin. Das konnte doch nicht sein … Hatte der Backofen ihr gerade wirklich zugeblinzelt? Nein, das war unmöglich. Sie rieb sich über die Augen und wandte sich zur Tür, um die Küche zu verlassen. Heute war wirklich der Wurm drin – erst recht seit Tante Susis Apfel!
Trotzdem verharrte sie auf der Schwelle und blickte noch einmal über die Schulter zurück. Ein leises Pling ertönte und das Licht im Backofen ging an. Regina zuckte zusammen, dennoch lief sie instinktiv auf das Gerät zu. „Oma? Hast du etwas im Ofen?“
Es war unwahrscheinlich, aber wie sonst sollte sie sich die plötzliche Interaktion des Backofens erklären? Sie bückte sich, schaute durch die Scheibe in den Ofen und sah ein Brot darin. „Oma? Da ist Brot in deinem Ofen!“
Sie wollte den Backofen ausschalten, denn wenn ein Pling ertönte, war das Brot darin sicherlich fertig, doch in dem Moment sah sie, dass dieser gar nicht an war. Wenn sie nach dem Temperaturregler ging, sollte nicht einmal das Licht an sein. Regina runzelte die Stirn, öffnete aber dennoch die Klappe – und der Duft von frisch gebackenem Brot stieg ihr in die Nase. Vorsichtig streckte sie die Hand aus und berührte das Brot mit einem Finger. Es war warm – nicht so heiß, wie es eigentlich sein sollte, wenn es gerade noch gebacken worden war. Aber doch so, als hätte man es vor einer halben Stunde gebacken und dann zum Abkühlen nach draußen gestellt.
Sie hörte langsame Schritte, die kurz hinter ihr verstummten. Regina drehte sich um und sah ihre Oma, die sich am Türrahmen festhielt. Sie schnupperte und dann richtete sie sich plötzlich auf und wirkte wieder fit, als hätte allein der Duft des Brots sie gesund gemacht.
„Oma, da ist Brot im Ofen“, wiederholte Regina, obwohl ihre Oma das natürlich längst selbst gesehen hatte. Doch etwas anderes fiel ihr nicht ein.
Als sie sich erneut zum Ofen umdrehte, bemerkte sie, dass sich dessen Inhalt in der Zwischenzeit noch weiter ›vermehrt‹ hatte: Das ganze Blech war voller Teigwaren – Brot, Brötchen, Croissants –, als wäre eine Großfamilie zum Brunch eingeladen.
Ganz vorsichtig und mit zwei Topflappen – von Reginas Mutter gestrickt, nicht von ihrer Oma – holte sie das Brot schließlich aus dem Ofen und stellte es auf der Arbeitsplatte ab. Skeptisch begutachtete sie es von allen Seiten, doch es sah aus wie ein ganz normales Gebäck, es roch so gut wie frisch vom Bäcker und auch sonst konnte Regina nichts erkennen, das sonderbar war. Nachdem sie auch die anderen Backwaren auf den Tisch gestellt hatte, blickte sie zu ihrer Oma auf. Die war allerdings bereits ins Wohnzimmer zurückgekehrt und schaute wahrscheinlich weiter Telenovelas.
Nachdem Regina sich eine Limo eingegossen hatte, fläzte sie sich neben ihrer Großmutter in einen Sessel und beobachtete sie für einen Augenblick. Eingekuschelt in ihre Decke starrte ihre Oma wie gebannt auf den Bildschirm. Mit einem Kopfschütteln versuchte Regina, das Geschehene zu verdrängen. Vermutlich konnte Oma sich nur nicht dran erinnern, dass sie etwas in den Ofen getan hatte. Schließlich zog Regina ihr Handy hervor und schaute, wie es um ihre Monster stand. Sie freute sich, dass eines der schon ewig liegenden Eier endlich geschlüpft war – da hatte sich die Wegstrecke von zu Hause zu ihrer Großmutter ja irgendwie doch noch ausgezahlt.

Erst in der nächsten Werbeunterbrechung schnitt Oma das andere Thema wieder an, dem Regina mit ihrem Gang nach draußen aus dem Weg gegangen war. „Wieso willst du eigentlich ausgerechnet mit Wolf zum Wunderjunggesellenball?“, fragte sie und schaute Regina stirnrunzelnd an. „Du könntest auch allein gehen oder mit einer deiner Freundinnen. Wäre das nicht einfacher?“

Weiter geht’s: Kapitel 6

Hinter den Kulissen

Dieses Kapitel von Märchenspinnerin Christina Löw, musste auch noch ein bisschen überarbeitet werden. Ursprünglich hatte sie nämlich nicht geplant die Oma zu Frau Holle zu machen, aber so finde ich es irgendwie passender. 😀

Nächste Woche wird es hier ein bisschen mehr zu ihr geben. Nicht nur meine Rezension zu „Träume voller Schatten„, ihrer Zwerg Nase Adaption, sondern auch ein Interview mit ihr und meine Station ihrer Kreativtour #IchAlsZwerg zum Buch.

Im Verlauf des Märchensommers könnt ihr das Buch auch als E-Book gewinnen.

Anne/PoiSonPaiNter

Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?

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Na aus welcher Ballade stammt der Titel? Natürlich aus dem Erlkönig! Einer Ballade, die wir vermutlich alle in unserer Schulzeit lernen mussten.

Carola Wolff hat sich das Geheimnis des Erlkönigs mal etwas genauer angeschaut …

Der Erlkönig – zwischen Märchen, Mythos und Ballade

Goethes Erlkönig zählt zu den naturmagischen Balladen, in denen die Natur von ihrer lockenden, beglückenden aber auch tödlichen Seite dargestellt wird. Ein Vater reitet mit seinem Sohn des nachts nach Hause, der Knabe wird von einem magischen Wesen angesprochen und zum Bleiben verlockt. Der Vater hört davon nichts, sieht jedoch die Angst seines Sohnes, reitet verzweifelt schneller und schafft es am Ende doch nicht. Der Knabe stirbt.

Balladen sind eine Gedichtform, in der Geschichten erzählt werden. Für die des Erlkönig gibt es verschiedene Interpretationen. Erzählt die Ballade von einem kranken Kind, das nicht mehr rechtzeitig zum Arzt gelangt? Handelt es sich um die schreckliche Geschichte eines sexuellen Mißbrauchs, oder geht es noch um etwas ganz anderes, steckt vielleicht ein uralter Mythos dahinter?

Mich hat die Ballade von jeher schon fasziniert. Ich habe ein wenig nachgeforscht, und finde es sehr spannend, was sich für Querverweise und Wurzeln finden lassen.

Goethe soll unter anderem von einer Dänischen Ballade inspiriert worden sein: Erlkönigs Tochter. Dort gibt es einen Ellerkonge (oder Elverkonge), einen Elfenkönig, der, falsch übersetzt, zu einem Erlkönig wurde. Oder hat Goethe das etwa absichtlich getan?

Der Dichter und Schriftsteller Robert Ranke-Graves schreibt in Die weiße Göttin, dass der dänische Ellerkonge tatsächlich der altenglische Gott Bran (der König der Erlen) sei. Und Bran entführt Kinder in die andere Welt.

Ranke-Graves wird von Burk zitiert in seinem Essay Die Erlkönigin. Dort beschreibt Burk, wie alte Mythen um die Welt reisen, ihre Gestalt wandeln, in neuem Kleid auftauchen und kommt zu dem Schluss:

„Die Legende vom männlichen Erlen-und Elfenkönig überliefert daher eine nur noch schemenhafte Erinnerung an eine uralte weibliche weiße und dreifaltige Todesgöttin, die ursprünglich im alten Griechenland beheimatet war und deren Kult über Spanien nach England wanderte, wo Alphito alias Cerriwen ihr Geschlecht wechselte und zu Bran wurde.“

Und welcher Mythos verbirgt sich hinter der griechischen Göttin Alphito (die kleine Jungen stiehlt)? Niemand anderes als Lilith, Adams erste Frau.

Lilith wurde bestraft, weil sie sich weigerte, Adam zu gehorchen und im Paradies zu bleiben. Deshalb werden seither jeden Tag hundert ihrer Kinder von drei Engeln getötet. Kein Wunder, dass sie sich in einen Nachtdämon verwandelt und an menschlichen Kindern schadlos hält. Bilder zeigen Lilith mit langen, wirren Haaren und Flügeln. Die Krone und der Schweif des Erlkönigs könnten also durchaus eine volkstümliche Verballhornung ihrer Haare und Flügel sein.

Der Erlkönig ist also eigentlich … eine Erlkönigin?

Ich finde das faszinierend. Und es hat mich angeregt, den Fluch des Erlkönigs zu schreiben. Eine etwas andere Geschichte vom Erlkönig.

Wie erklären wir uns die Welt? Durch Geschichten: Mythen, Märchen, Überlieferungen.

Der Kampf mit dem Drachen, die Begegnung mit Hexen und magischen Wesen, darin spiegeln sich Naturgewalten wieder, denen der Mensch hilflos gegenüber steht. Wie gehen wir mit ihnen um, lassen sie sich durch Opfer bezähmen, oder durch Tapferkeit und List? Aber auch die eigene Psyche, die dunklen Strömungen in uns, finden Eingang z.B. in Märchen. Das Ungezähmte, Wilde in uns, die alten Instinkte, nur notdürftig von Zivilisation und guten Manieren übertüncht. Eine Quelle, die wir anzapfen, in Kreativität verwandeln können.

Am Anfang war das Wort.

Also lasst uns eine Geschichte erzählen …

Die Autorin

Carola Wolff lebt in Berlin, zusammen mit Stapeln ungezogener Bücher, die überall herum lümmeln und einer extensiven Sammlung literarischer Teebecher. Sie ist gelernte Buchhändlerin, hat einen BA in englischer Literatur und ein Faible für alles Britische. Jetzt schreibt sie u.a. Jugendfantasyromane. Wer mehr über sprechende Raben und magische Musenküsse wissen möchte, der sei hiermit herzlich eingeladen, Carola auf Twitter, Facebook oder ihrer Homepage beim Schreiben über die Schulter zu gucken.

Homepage: Carola Wolff
Facebook: Carola Wolff
Twitter: @carolawolff

Im Verlauf des Märchensommers kannst du übrigens „Der Fluch des Erlkönigs“ als Gesamtpreis der vier Märchenrallye Runden und als einen der Hauptpreise des Sommers gewinnen.

Anne/PoiSonPaiNter
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Lies auf Deutsch

Who rides there so late through the night dark and drear?

Well, what ballad does the title come from? From the Erlkönig, of course! A ballad we all probably had to learn in our school days.

Carola Wolff took a closer look at the Erlkönig’s secret…

The Erlkönig – between fairy tale, myth and ballad

Goethe’s Erlkönig is one of the nature magical ballads, in which nature is represented by its luring, pleasing yet also deadly side. A father rides home at night with his son, the boy is approached by a magical being and enticed to stay. The father hears nothing of this, but sees the fear of his son, desperately rides faster and still does not succeed in the end. The boy dies.

Ballads are a form of poetry in which stories are told. There are different interpretations for the Erlkönig’s. Does the ballad tell of a sick child who can’t get to the doctor in time? Is it the terrible story of a sexual abuse, or is there something completely different, perhaps an ancient myth behind it?

I have always been fascinated by the ballad. I did some research and find it very exciting what cross-references and roots can be found.

Goethe is said to have been inspired by a Danish ballad: Erlkönig’s daughter. There is an Ellerkonge (or Elverkonge), an elf king who, wrongly translated, became an Erlking/Erlkönig. Or did Goethe do it deliberately?

The poet and writer Robert Ranke-Graves writes in The White Goddess that the Danish Ellerkonge is indeed the old English god Bran (the king of the alders). And Bran abducts children to the other world.

Ranke-Graves is quoted by Burk in his essay Die Erlkönigin (The Alder Queen). There Burk describes how old myths travel around the world, change their shape, appear in a new dress and comes to the conclusion:

„The legend of the male alder- and elven-king tells of an only shadowy memory of an ancient female white and triune goddess of death, who originally lived in ancient Greece and whose cult migrated via Spain to England, where Alphito alias Cerriwen changed her gender and became Bran.“

And what myth hides behind the Greek goddess Alphito (who steals little boys)? None other than Lilith, Adam’s first wife.

Lilith was punished for refusing to obey Adam and stay in paradise. That is why since then one hundred of their children have been killed by three angels every day. No wonder she’s turning into a night demon and harming human children. Pictures show Lilith with long, chaotic hair and wings. The crown and tail of the Erlkönig could therefore be a folkloric corruption of her hair and wings.

So the Erlking is actually… an Erlqueen?

I find that fascinating. And it has inspired me to write Fluch des Erlkönigs (The Curse of the Erlkönig). A slightly different story about the Erlkönig.

How do we explain the world? Through stories: Myths, fairy tales, lore.

The struggle with the dragon, the encounter with witches and magical beings, this reflects the forces of nature that humans face helplessly. How do we deal with them, can they be tamed by sacrifice, or by bravery and cunning? But also our own psyche, the dark currents within us, find their way into e.g. fairy tales. The untamed, savage in us, the old instincts, only poorly obscured by civilization and good manners. A source that we can tap into, transform into creativity.

In the beginning was the word.

So let’s tell a story…

The Authoress

Carola Wolff lives in Berlin, along with stacks of naughty books lurking around and an extensive collection of literary tea cups. She is a trained bookseller, has a BA in English literature and a weakness for everything British. Now she writes, among other things, fantasy novels for young people. If you want to know more about talking ravens and magical muse kisses, you are kindly invited to look Carola over her shoulder on Twitter, Facebook or her homepage while writing.

Homepage: Carola Wolff
Facebook: Carola Wolff
Twitter: @carolawolff

Anne/PoiSonPaiNter

#CroMär: Kapitel 4

Regina hat letzte Woche mit sich gehadert, wird sie tatsächlich in den fragwürdigen Apfel beißen? Wies es weiter mit dem vierten Kapitel des #CroMär, des Crossover Märchens, könnt ihr heute lesen.

Kapitel 4 – Fischige Angelegenheiten

Bevor Regina noch einmal die Zweifel überkommen konnten, biss sie in den Apfel. Er war tatsächlich saftig, sofort tropfte es ihr übers Kinn. Er schmeckte auch nicht schlecht, aber trotzdem… irgendwie falsch. Als wäre es ganzer Apfelkuchen, nicht nur ein Apfel.
Vorsichtshalber nahm sie keinen zweiten Bissen, sondern stapfte zurück zu ihrem Fahrrad und steckte den Apfel in eine der unzähligen Plastikdosen, die ihre Mutter für ihre Oma mitgeben hatte. Der Kuchen wurde dadurch zwar ein Bisschen gedrückt, aber ansonsten verstanden sie sich bestimmt gut. Jedenfalls würde sie erst einmal die Wirkung abwarten. Neuen Code testete man schließlich auch erst einmal Häppchenweise.
Sie kettete das Fahrrad ab, prüfte ihr Handy – das Spiel lief noch, alles gut – und schob das Fahrrad den lästigen Stück des Weges, der zu dicht bewachsen war. Seltsam, dass ausgerechnet hier heute so viele Leute unterwegs waren. Und am seltsamsten war definitiv dieser Förster gewesen. Einen Kuss wollte er. Ihren ersten richtigen mit Wolf, Sandkasten Küsschen zählten da nicht.
In Reginas Magen gurgelte es, der Apfel war an der Arbeit.
Jedenfalls würde sie ihm weder ihren ersten noch sonst einen geben. So ein Unsinn! Der Kerl hatte überhaupt nichts in der Hand, womit er sie zwingen könnte. Und wenn es doch darauf ankäme, dann wäre wenn dann sie diejenige, die hier im Vorteil wäre. Einen Kuss, pah. Wenn das nicht eindeutig unter sexuelle Belästigung fiel!
Die Geräusche aus ihrem Bauch wurden noch unheimlicher. Als würden kleine Blubberblasen in ihr aufsteigen. Und tatsächlich, wenn sie den Mund öffnete, hatte sie sogar das Gefühl, sie würde Marzipangeruch ausatmen. Was das wohl bedeutete?
Erleichtert sah sie, dass der Pfad wieder befahrbar wurde und schwang sich auf den Sattel. Was auch immer mit ihr passierte, es sollte am besten nicht hier unbeobachtet mitten im dichten Wald geschehen, wo man sie erst nach Tagen finden würde. Obwohl sie bei der Besucherfrequenz heute vielleicht wiederum Glück hätte, aber man musste es ja nicht darauf ankommen lassen.
Eine schöne Geschichte war das, jetzt wurde ihr auch noch übel. Was hatte ihr ihre Tante da nur angedreht? Regina trat rascher in die Pedale.

Sie war selten so froh gewesen, selbst einen Schlüssel zur Wohnung ihrer Oma zu haben, wie in diesem Moment. Das Nicht-darauf-warten-müssen, dass die Tür von innen geöffnet wurde, verschaffte ihr wertvolle Sekunden. Sie stürzte zur Tür hinein, mitsamt Schuhen durch den Flur und direkt zum Klo. Dann war alles vorbei.
„Bist du das, Regina?“, kam es aus dem Wohnzimmer, begleitet von gedämpften Gesprächen des Fernsehers.
„Ja“, schniefte sie.
„Was?“
Den Kopf über der Kloschüssel wartete sie noch eine Salve ab. „Ja!“, brüllte sie dann.
„Warum machst du so komische Geräusche?“
Regina verdrehte gedanklich die Augen, hatte praktisch jedoch gerade andere Dinge zu tun. Verdammt, das war doch nicht normal! Und das war nur die Wirkung von einem einzigen Bissen. So bekamen sechs Kilo in einer Woche natürlich einen ganz anderen Beigeschmack. Und so viel stimmte natürlich auch: Sie hatte jetzt definitiv keinen Hunger mehr.
Dann, endlich, war es vorbei. Zittrig kam Regina auf die Füße, spülte erst das Klo, dann den Mund. Noch während sie das Bad verließ, wählte sie bereits die Telefonnummer ihrer Tante.
„Hallo, Susi. Du, dein Apfel ist furchtbar zum Kotzen.“
„Hallöchen Regina. Was ist dir denn über die Leber gelaufen? Probier ihn doch erst einmal, dann wirst du sehen, dass ich –“
„Ich hab ihn schon gekostet, das ist doch das Problem!“
Reginas Oma lag auf dem Sofa, die Decke bis zur Brust gezogen und winkte Regina mit der Fernbedienung zu. Regina signalisierte ihr, dass sie den Fernseher leiser stellen sollte und diese kam augenblicklich der Bitte nach. Für Skandälchen war sie ganz Ohr, eigene Erkrankung hin oder her. Und am besten wandelte sie die danach gleich in eine kleine, fragwürdige Geschichte um, die sie bei nächster Gelegenheit zum Besten gab.
„Du meinst, er hat zu Erbrechen geführt?“
„Wie der beste Magen-Darm-Infekt.“
„So war das aber nicht gedacht. Die bisherigen Tests an Tieren haben nichts dergleichen ergeben. Es wirkt leicht abführend, das ist richtig, aber von Erbrechen wurde nicht berichtet.“
„Frag sie, welche Tiere es waren“, forderte Reginas Oma.
War ihr Handy so laut, dass sie das hatte mithören können? „Welche Tiere waren es denn?“
„Ratten und Kaninchen, so weit ich weiß. Die Routine eben.“
„Kein Wunder, dass sie nichts festgestellt haben. Die können auch nicht erbrechen“, behauptete ihre Oma.
Regina schirmte das Mikro mit einer Hand ab. „Woher weißt du das denn bitte?“
Ihre Oma deutete vielsagend auf den Fernseher.
„Das stimmt zwar“, hörte Regina Tante Susi in deutlich pikiertem Tonfall sagen (die hatte anscheinend auch viel zu gute Ohren!), „aber du kannst Mama ausrichten, dass Übelkeit bei Ratten sozusagen einen Fressflash verursacht und das hätte wohl kaum zum gewünschten Ergebnis geführt. Das haben zumindest die zuständigen Experten gesagt.“
Das wurde Regina eindeutig zu viel Spekulation. „Egal, was der Grund ist, es war jedenfalls eine Sauerei und du solltest alle anderen Testkandidaten vorwarnen. Ich werde jedenfalls keinen weiteren von diesen Höllendingern essen.“
Und um ihrer Aussage Nachdruck zu verleihen, legte sie auf.
„Das war aber unhöflich.“
Regina schnauffte nur und ließ sich dann neben ihrer Oma aufs Sofa sinken. Jetzt saßen sie hier und waren beide krank. Und vielleicht, ging ihr verspätet auf, war sie doch etwas zu unhöflich zu ihrer Tante gewesen. Was, wenn diese gar nichts dafür konnte, und stattdessen dieser Polizist etwas an dem Apfel gedreht hatte? Immerhin hatte er ihn sogar in seiner Tasche gehabt!
„Was sollte der Apfel überhaupt bewirken?“, fragte ihre Oma neugierig.
„Er sollte mich abnehmen lassen.“
„Und was sollte er wirklich bewirken?“
Regina ließ den Kopf zurücksinken. Sie fühlte sich zittrig und elend. Sie wollte gar nicht wissen, was ein ganzer Apfel bewirkt hätte. Mindestens Bewusstseinsverlust, so viel stand fest.
„Gibt es da etwa einen jungen Herren?“, neckte ihre Oma.
Was half es da, es zu leugnen? „Er hat mich zum Wunderjunggesellenball eingeladen“, brummte Regina. „Und mir sogar das Kleid gezeigt, in dem er mich am liebsten sehen will.“
„Ich kann dich sehr gut verstehen. Als ich in deinem Alter war…“
Na also, hier kam sie schon, eine ihrer Geschichten. Das hatte ja nicht lange gedauert.
„Da hatte ich, ob du es glaubst oder nicht, auch ein paar Pfunde mehr auf den Rippen. Außerdem gab es da einen Jungen… ach, alle Mädchen der Klasse waren hinter ihm her. Er sah aber auch unverschämt gut aus, mit seinen Grübchen. Und witzig war er! Ich konnte mein Glück kaum fassen, als er mich einlud, beim Frühlingsball seine Begleitung zu sein. Aber es gäbe eine Bedingung, meinte er. Es gäbe einen Kostümwettbewerb und den müssten wir unbedingt gewinnen. Da er schon sein Kostüm ausgewählt hatte und als Wassermann gehen würde, müsste ich meins anpassen und als Meerjungfrau gehen. Mit Fischschwanz und Muschel-BH.“
Regina runzelte die Stirn. Na klar.
„Ich hatte natürlich meine Bedenken“, fuhr ihre Oma fort. „Der enganliegende Fischschwanz würde mich wie eine Leberwurst aussehen lassen und noch dazu bauchfrei… Aber es war mein Schwarm, also verkaufte ich meine Seele und wurde zur Meerjungfrau.“ Sie seufzte melodramatisch. „Was ich jedoch nicht wusste, war, dass der Wettbewerb in Wahrheit eine Wette war und die ging darum, wer seine Begleitung dazu bringen konnte, im absurdesten Aufzug zu erscheinen. Und natürlich hatte er mich ausgewählt, weil er wusste, dass er mit mir das leichteste Spiel haben würde. Tatsächlich getanzt hat er dann den ganzen Abend mit einer anderen.“ Sie klopfte Regina sacht auf den Arm. „Deswegen, meine Liebe, sollte man vorsichtig sein und sich nicht für jemanden verbiegen, nur weil er einem einmal angelächelt hat.“
„Muschel-BH? Schwarm? Aus welcher Telenovela hast du denn diese Geschichte? Die muss ja ganz schrecklich gewesen sein.“
„Aber sie hätte mir so passieren können.“
„Ach, Oma. Ich bin doch keine zehn mehr, ich bin zu alt für Märchen. Du hattest nie Gewichtsprobleme, ich kenn doch die alten Fotos von dir.“
„Es ist doch die Botschaft, die zählt.“
„Eigentlich ist es die Wahrheit, die zählt.“ Regina schälte sich wieder vom Sofa. „Ich hol mal die Sachen rein, die Mama für dich mitgegeben hat, bevor sie noch jemand aus dem Fahrradkorb klaut.“
„Das heißt, du willst trotzdem zum Ball.“
Natürlich wollte sie trotzdem. Es war nun mal nicht irgendjemand, es war Wolf. Und zum Glück würde sie nicht als Meerjungfrau gehen, sondern ein normales Kleid anziehen. Nun ja, mit Glitzersteinen. Und zu viel Ausschnitt. Aber was tat man nicht alles.
„Dann lass wenigstens deine Mutter deine gute Fee sein und das Kleid für dich anpassen“, rief ihr ihre Oma hinterher. „Damit es wenigstens dein Kleid wird und nicht das für eines dieser super skinny Models.“
Wo auch immer sie diesen Begriff schon wieder aufgeschnappt hatte. Regina seufzte. Manchmal wünschte sie sich, sie könnte auch einfach eine dieser ganz normalen Omas haben, die Tee kochten, Kuchen backten und strickten. Aber diese Fähigkeiten waren irgendwie alle direkt zu ihrer Mutter übergegangen.

Weiter geht’s: Kapitel 5

Hinter den Kulissen

Letztes Jahr hat sie noch mitgerätselt, in diesem Märchensommer ist Anne Danck, die selbst auch an eigenen Märchenadaptionen schreibt, direkt beteiligt. Wer weiß, vielleicht ist sie dann in Auflage 3 mit ihrem eigenen Buch vertreten. 😀

Anne/PoiSonPaiNter

Die Baba? Die Jaga? Die Baba Jaga! (Teil 2)

Read in English

Letzte Woche hat Katherina bereits anfangen euch etwas zu einer meiner Lieblingsfiguren zu erzählen, heute folgt der zweite Teil ihres Gastbeitrags.

Grimm’sche Hexe und Baba Jaga – zwei Mal Hexe? – Teil 2

Ihr habt erfahren woher sie und ihr Name stammen, wie sie aussieht und was sie so für Fähigkeiten hat. Heute geht es weiter mit:

Behausung

Die Grimm’schen Hexen haben in unterschiedlichen Märchen unterschiedliche Behausungen. So lebt die Hexe aus „Hänsel und Gretel“ im Pfefferkuchenhaus, das gleichzeitig Behausung und Falle ist. Die Hexe in „Jorinde und Joringel“ dagegen besitzt gleich ein ganzes Schloss voller Singvögel. Die Behausung der Hexe hängt also von ihrer Funktion im jeweiligen Märchen ab. In einem der wenigen Märchen mit Hexenmeister wird die Behausung gar nicht erwähnt, nur, dass es eine gibt und scheinbar die Menschen wissen, wo sie sich befindet, um ihr Kind dem Hexer in die Lehre zu geben, wie in „Der Gaudieb und sein Meister„.
Abgesehen davon befinden sich die Häuser der meisten Hexen im Wald. Ähnlich wie der Zaun als Trennung zwischen Menschenwelt und magischer Dämonenwelt fungiert, ist der Wald als Abgrenzung zum Dorf zu verstehen – die magische Welt, über die eine Hexe Macht hat.

Baba Jagas Behausung dagegen ist immer gleich. Es handelt sich hierbei um ein Haus auf einem Hühnerbein, umringt von einem Zaun aus Totenschädeln. Laut einigen Forschern ist das Hühnerbeinhaus ein Überrest altslawischen Glaubens, als Baba Jaga noch eine tierische – und keine menschliche – Gestalt hatte. Die Totenschädel symbolisieren, dass sie teils im Totenreich steht – wer also sich in ihr Haus begibt, übertritt damit auch symbolisch die Schwelle ins Reich der Toten. Wenn also ein Recke sich im Zuge der Heldenreise eines Märchens bei ihr aufhält, ist das oft sinnbildlich die Entsprechung der Jenseitsfahrt in der klassischen Heldenreise der antiken Mythen.
Anders als bei der Hexe, ist der Wald um ihr Haus herum allerdings nicht magisch, weil Baba Jaga dort wohnt. Der Wald ist immer magisch und Baba Jaga als Waldhüterin ist das Wesen, das man besänftigen muss, um sicher dort zu sein. Denn in den Vorstellungen der alten Slaw*innen war grundsätzlich jeder Bereich magisch und von Geistern bevölkert – egal ob es sich um das eigene Haus, das Dorf oder den Bereich außerhalb handelte. Nur dass für unterschiedliche Bereiche unterschiedliche Wesen zuständig waren. Diese Vorstellungen leben in abgeschwächter Form auf dem Lande teilweise weiter oder werden im Zuge der Besinnung auf alte, vorsowjetische Traditionen wiederbelebt.

Bedeutung

Baba Jaga ist eine mehrdeutige Figur. Laut Vladimir Ja. Propp hat sie drei Gesichter:

  • Die Schenkende, die den Held*innen ein magisches Pferd oder einen anderen magischen Gegenstand übergibt
  • Die Kindsräuberin (wie u.a. in „Wilde Schwäne“ und „Baba Jaga„)
  • Die Kriegerin, gegen die sich der Held im Kampf behaupten muss, um zu einer höheren Bewusstseinsstufe aufzusteigen

Diese Dreiernatur hängt mit mehreren Dingen zusammen. Zum einen gilt Baba Jaga in der Folklore als Herrin des Waldes, die besänftigt werden muss, wenn man den Wald gefahrlos nutzen/durchschreiten möchte. Als solche ist sie also ein Überbleibsel der vorchristlichen slawischen Überlieferungen. Zum anderen kommt hier die ursprüngliche Natur der vorchristlichen Gottheiten und mystischen Frauengestalten zum Tragen, die sowohl Gutes als auch Böses in einer Person verbanden.

Um die Bedeutung der Grimm’schen Hexe zu thematisieren, muss man weiter ausholen und die Geschichte der zauberkundigen Frauen an sich im europäischen Raum betrachten. Während zauberkundige Frauen in der Frühantike noch ambivalent – also gut wie schlecht – sein konnten, nahm das Ansehen schon zur Römerzeit immer weiter ab. Bereits im Zwölftafelgesetz im antiken Rom standen Schadenszauber jeder Art unter Todesstrafe. Was freilich niemanden daran hinderte, solche beispielsweise im Tempel der Isis in Auftrag zu geben. Im Laufe der Zeit wurde zudem das Wissen heilkundiger Frauen zunehmend stigmatisiert, was letzten Endes in der Hexenverfolgung mündete (um es stark vereinfacht auszudrücken).
Der Effekt ist zweigleisig – aus den Dämonen und Göttinen der alten Geschichten werden Menschenfrauen. Gleichzeitig verlieren Zauberinnen alle ihnen zugeschriebenen positiven Eigenschaften. Bis ins achtzehnte Jahrhundert gehörten Hexen nicht in Geschichten, da sie für die Menschen durchaus Realitäten darstellten. Mit der Verbrennung der letzten Hexe in Deutschland – 1775 – ändert sich das. Da Hexen nicht mehr Teil der gelebten Realität sind, kann die Märchenhexe sich von einigen der herrschenden Vorstellungen lösen und zu etwas Eigenem werden. Sie ist dabei eine Mischung aus den vorchristlichen Vorstellungen der Zauberfrau und dem Hexenbild von Mittelalter und früher Neuzeit.

Ihre Funktion ist dabei meist die eines Kinderschrecks: In den meisten Märchen versucht sie, Kinder zu sich zu locken, um sie zu verzaubern oder zu essen. Seltener sind die Gegner*innen Jugendliche oder junge Erwachsene (wie bei Jorinde und Joringel).
Einige Forscher*innen sehen in der Märchenhexe eine ausschließlich böse Figur (so Max Lüthi) oder als Figur, die gegen alle Gesetze handelt und somit als abschreckendes Beispiel dient, wie ein Mensch nicht zu handeln hat. Somit soll ihr grausames Ende Kindern aufzeigen, was passiert, wenn sie sich nicht an die Gesetze des guten Zusammenlebens handeln. Die drastischen Strafen dienen der Prävention.

Psychologisch gesehen können Hexen auch als die schlechten Seiten eines Menschen gelesen werden, die am Ende des Märchens zu vernichten sind. So wird zwar die Stiefmutter von Schneewittchen nicht explizit als Hexe benannt, hat jedoch spätestens im letzten Drittel des Märchens ihre äußeren und inneren Eigenschaften, während sie in der Verkleidung der hässlichen Alten auftritt. Indem die Hexe sich in heißen Schuhen zu Tode tanzt, „verbrennt“ die negative Seite in der Persönlichkeit von Schneewittchen, die somit mit dem Prinz an der Seite erwachsen werden kann.

Interessanterweise sind Hexenfiguren grundsätzlich regional. Die Rolle, die in deutschen Märchen oft eine Hexe einnimmt, nimmt in vielen Märchen aus anderen Ländern ein*e Menschenfresser*in ein. In einigen Ländern fehlen Hexen völlig und werden durch Feen oder hexenähnliche Geschöpfe der eigenen Mythologie ersetzt.

Fazit

Auch wenn auf den ersten Blick die Grimm’sche Hexe und die russische Baba Jaga viele Gemeinsamkeiten haben, haben die beiden Figuren sehr unterschiedliche Entstehungsgeschichten und Bedeutungsspektren. Dass sie sich jedoch einander annähern, liegt nicht zuletzt daran, dass auf der ganzen Welt ungefähr zur gleichen Zeit mit dem Niederschreiben der Märchenstoffe begonnen wurde. Und auch wenn es damals kein Internet gab, tauschten sich die Menschen rege international über ihre Arbeit aus. So würde es mich nicht wundern, wenn sich die zwei Archetypen nicht mit der Zeit dadurch einander angenähert hätten, sodass exotischere Ausformungen der Baba Jaga (wie die als Dreiergruppe) verdrängt wurden.

In jedem Fall sind beide Gestalten vielschichtige und interessante Figuren, die auch die folgenden Generationen nicht loslassen werden.

Die Autorin

Katherina Ushachov zog im Alter von sechs Jahren aus dem sonnigen Odessa nach Deutschland. Zwanzig Jahre später machte sie Vorarlberg zur neuen Wahlheimat. Sie schreibt seit der Schulzeit, weil sie ohne das Schreiben nicht mehr leben kann. Wenn die freie Lektorin nicht gerade an einem ihrer Romane arbeitet, textet sie für mehrere gemeinschaftlich geführte Blogs oder erzählt auf ihrer Homepage vom Alltag als junge Autorin.

Homepage: Keller im 3. Stock
Lektorat: Phoenixlektorat
Weltenbau: Weltenschmiede
Facebook: Katherina Ushachov – Autorin
Twitter: @evanesca

Morgen wird es mal ein bisschen zeichnerisch … neben den Bilderrätseln, die ihr auch weiterhin bei Trimagie und Drachengeschichten und Nordlichter auf Facebook lösen könnt.

Anne/PoiSonPaiNter
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Lies auf Deutsch

Last week Katherina already started to tell you something about one of my favorite characters, today you can read the second part of her guest post.

Grimm’s Witch and Baba Jaga – Twice a Witch? – Part 2

You learned where she and her name come from, what she looks like and what her abilities are. Today we continue with:

Dwelling

Grimm’s witches have different dwellings in different fairy tales. Thus the witch from „Hansel and Gretel“ lives in the gingerbread house, which is both a dwelling and a trap. The witch in „Jorinde and Joringel„, on the other hand, owns a whole castle full of songbirds. The witch’s dwelling depends on her function in the respective fairy tale. In one of the few fairy tales with a sorcerer, the dwelling is not mentioned at all, only that there is one and apparently people know where it is to teach their child to the sorcerer, as in „The Thief and His Master„.
Apart from that, most witches‘ houses are in the forest. Just as the fence acts as a separation between the human world and the magical demon world, the forest is to be understood as a boundary to the village – the magical world over which a witch has power.

Baba Jaga’s dwelling, on the other hand, is always the same. It is a house on a chicken leg, surrounded by a fence of skulls. According to some researchers, the Chicken House is a remnant of ancient Slavic belief, when Baba Jaga still had an animal – and not a human – form. The skulls symbolize that she is partly in the realm of the dead – so whoever enters her house symbolically crosses the threshold into the realm of the dead. So when a hero stays with her during a fairy tale’s hero’s journey, this is often symbolically the equivalent of the afterlife journey in the classical hero’s journey of ancient myths.
Unlike the witch, the forest around her house is not magical because Baba Jaga lives there. The forest is always magical and Baba Jaga as a forest keeper is the being you have to soothe to be safe there. For in the ideas of the old Slavs, every area was basically magical and populated by spirits – regardless of whether it was their own house, the village or the area outside. Only that different beings were responsible for different areas. Some of these ideas live on in the countryside in a diluted form or are being revived in the course of reflecting on old, pre-Soviet traditions.

Meaning

Baba Jaga is an ambiguous figure. According to Vladimir Ja. Propp she has three faces:

  • The giver who gives the heroines a magic horse or other magic object
  • The Child Thief (as in „The Magic Swan Geese“ and „Baba Jaga„, among others)
  • The warrior, against whom the hero has to fight in order to advance to a higher level of consciousness.

This tripple nature is connected with several things. On the one hand, Baba Jaga is considered in folklore as the mistress of the forest, who must be calmed down if one wants to use the forest safely. As such, it is a remnant of pre-Christian Slavic traditions. On the other hand, there is the original nature of the pre-Christian deities and mystical female figures, who combined both good and evil in one person.

In order to address the meaning of Grimm’s witch, one must go further and look at the history of magical women in Europe. While magical women in early antiquity could still be ambivalent – good as bad -, the reputation already decreased further and further in Roman times. Already in the Twelve Tables Act in ancient Rome, all kinds of harmful spells were punishable by death. Which, of course, did not prevent anyone from commissioning such in the temple of Isis, for example. In the course of time, the knowledge of healer women was increasingly stigmatized, which ultimately led to witch hunts (to put it very simply).
The effect is twofold – the demons and goddesses of ancient stories become human women. At the same time, sorceresses lose all the positive qualities attributed to them. Until the eighteenth century witches did not belong in stories because they were realities for people. With the burning of the last witch in Germany – 1775 – this changed. Since witches are no longer part of lived reality, the fairy tale witch can detach herself from some of the ruling ideas and become something of her own. It is a mixture of the pre-Christian ideas of the sorceress and the witch image of the Middle Ages and early modern times.

Their function is usually that of a child’s fright: In most fairy tales she tries to attract children to enchant or eat them. Rarer are the opponents young people or young adults (as with Jorinde and Joringel).
Some researchers see the fairy tale witch as an exclusively evil figure (according to Max Lüthi) or as a figure who acts against all laws and thus serves as a cautionary example of how a person should not act. Thus their cruel end is to show children what happens when they do not abide by the laws of good coexistence. The drastic penalties are for prevention.

Psychologically speaking, witches can also be read as the bad sides of a person to be destroyed at the end of a fairy tale. Although Snow White’s stepmother is not explicitly named as a witch, she has her external and internal characteristics in the last third of the fairy tale at the latest, while she appears in the disguise of the ugly old woman. By dancing herself to death in hot shoes, the witch „burns“ the negative side in the personality of Snow White, who can thus grow up with the prince by her side.

Interestingly, witch figures are basically regional. The role often played by a witch in German fairy tales is played by a man-eater in many fairy tales from other countries. In some countries witches are completely absent and are replaced by fairies or witch-like creatures of their own mythology.

Conclusion

Even if the Grimm witch and the Russian Baba Jaga have a lot in common at first glance, the two figures have very different origin stories and spectra of meaning. However, the fact that they are converging is not least due to the fact that the recording of fairytale materials began around the same time all over the world. And even if there was no Internet at that time, people actively exchanged their work internationally. So it wouldn’t surprise me if the two archetypes hadn’t come closer together over time, displacing more exotic forms of the Baba Jaga (like those as a group of three).

In any case, both figures are multi-layered and interesting figures that will go unnoticed by future generations either.

The Authoress

Katherina Ushachov moved from the sunny Odessa to Germany at the age of six. Twenty years later she turned Vorarlberg into her new chosen home. She is writing since school times, as she can’t live without writing any more. When the free Copy Editor isn’t working on one of her novels, she writes for several collaboratively lead Blogs or talks about her every day life as young authoress on her homepage.

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Worldbuilding: Weltenschmiede
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Twitter: @evanesca

Tomorrow it will be a bit graphical…

Anne/PoiSonPaiNter

#CroMär: Kapitel 3

Letzte Woche wurde Regina ein etwas fragwürdiges Obst angedreht, was sie damit macht und wies es weiter mit dem dritten Kapitel des #CroMär, des Crossover Märchens, könnt ihr heute lesen.

Kapitel 3 – Forsthilfe

Es war wirklich nicht fair von ihrer Tante, ausgerechnet Wolf ins Spiel zu bringen. Todesmutig hatte sie ihm ihre Gefühle gestanden und er hatte sie einfach nur ausgelacht. Nur Freunde seien sie. Nach dem er den Talentwettbewerb gewonnen hatte, nicht mal mehr das. Weil er keine Zeit mehr hatte. Sie hätte ihm die Augen auskratzen sollen. Stattdessen hat sie sich zurückgezogen und einfach nicht aufhören können, an ihn zu denken. Wenn er sich genug in der Welt ausgetobt hatte, vielleicht, das hoffte sie ganz insgeheim, vielleicht würde er zu ihr zurückkommen. Niemand vergaß seine Sandkastenliebe. Oder? Bestimmt nicht! Schmachtend starrte sie auf den Apfel. Sieben Kilo. In einer Woche. Er war wirklich wunderbar rot. Aber bildetet sie sich das ein oder roch er nach Marzipan? Wie eklig war das denn? Urplötzlich fielen ihr die Mädchen ein, mit denen Wolf in der Zeitung abgebildet war. Im hohen Bogen schleuderte sie den Apfel zwischen die Bäume, lobte sich ihre Pfunde und schob das Rad weiter.
Nach ein paar Metern sah sie ihn noch einmal im Moos liegen. Er war in der Nähe einer Ameisenstraße gelandet, doch die emsigen Arbeiter stürzten sich nicht auf ihn, sondern machten einen großen Bogen darum. Regina warf einen Blick über die Schulter, ob der pinke Neonblitz noch irgendwo zu sehen war – Tante Susi war verschwunden –, und kickte den Apfel tiefer ins Unterholz. Sie konnten sie mal, alle Wölfe und Hungerhaken dieser Welt. Sie blieb bei richtigen Äpfeln, echtem Marzipan und kaschierenden Kapuzenpullovern.
Der Wald wurde dichter. Schon oft hatte sie es verflucht, dass man die letzte Strecke nur schieben konnte, wenn man nicht von der anderen Seite kommen und die Straße nehmen wollte. Und das wollte sie definitiv nicht, auch wenn es hier manchmal unheimlich war. Kurz überlegte sie, ihr Rad an einen Baum zu ketten, um ohne besser vorwärts zu kommen, da entdeckte sie zwischen den Stämmen eine Gestalt auf sich zu kommen. Nicht schon wieder jemand, oder? War denn die ganze Stadt heute im Wald unterwegs? Das mit dem Anketten erübrigte sich. Schnell wegkommen war jetzt gefragt, aber die Gestalt bemerkte wohl ihren Plan und beschleunigte den Schritt.
„Hey, Regina, warte mal!“
Wie vom Donner gerührt blieb sie stehen. Unter tausend Stimmen hätte sie diese eine wiedererkannt. Hastig drehte sie sich um und nahm nun tatsächlich den Kopfhörer aus dem Ohr.
„Mensch, gut, dass ich dich gefunden habe!“ Er lächelte. Das gleiche zauberhafte, pulsbeschleunigende Lächeln wie damals, als er noch auf dem Schulhof die Pausen mit ihr verbracht hatte.
„Wolf? Bist du das?“
Er grinste. „Und ob. Ich musste ganz schön suchen, um dich zu finden.“
„Aber … aber … woher?“ Ihr blieb der Mund offen stehen. Er stand wirklich vor ihr. Hier. Mitten im Wald.
„Deine Mutter. Sie hat mir gesagt, dass du zu deiner Oma unterwegs bist. Da bin ich hinterher.“
„Du warst bei mir zuhause?“
„Gott, nein, wie kommst du darauf? Ich habe angerufen.“
Der Mund klappte wieder zu. „Ach so.“ Angerufen? „Aber wieso?“
„Hör zu! Ich brauche dich.“
„Mich?“
„Genau dich.“
„Wozu?“
„Nächsten Samstag ist der Wunderjunggesellenball. Na ja, wir bringen alle unsere erste Liebe mit. Und meine warst ja nun mal du.“
„Ich? Und was ist mit Lisa? Leonie? Sabrina? Elke? Martina? Und die hundert anderen, die mir nicht mehr einfallen?“
Er hob beschwichtigend die Hände. „Schon gut, schon gut. Es hat ein paar gegeben. Aber nur eine war die Erste. Und das bist du. Wie sollte ich meine Sandkastenliebe vergessen?“
Sie schluckte. „Im Ernst?“
„Würdest du mich begleiten?“
„Wunderjunggesellenball?“
„So heißt er nun mal.“
„Ich habe Samstag schon was vor.“
„Kannst du das nicht verschieben? Um der alten Zeiten willen?“
„Du solltest lieber eine von deinen Magermodels fragen.“ Sie wünschte sich, dass ihr Herz nicht wie verrückt pochen würde. Er sah noch tausend mal besser aus, als auf den vielen Fotos, die sie von ihm gesammelt hatte. Und war er wirklich durch den ganzen Wald gehetzt, um sie zu finden?
„Hab ich d… hab doch nur eine Sandkastenliebe.“
Ihr Blick schweifte langsam zwischen den Baumstämmen hin und her, als suchte sie dort nach dem Haken. Das war doch alles ein Traum, oder?
„Komm schon, sag ja!“ Da war es wieder, dieses Lächeln.
„Ich … ich kann nicht tanzen. Und ich habe kein Kleid.“
„Das mit dem Tanzen kriegen wir schon hin. Und für ein Kleid habe ich natürlich gesorgt.“ Er griff in seine Hosentasche und zog ein Bild heraus. „Wie wäre es mit dem hier?“ Ein Traum aus dunkelblauer Seide, schwingendem Rock und Swarovskisteinen besetztem Dekolleté zeigte sich darauf.
„Das … das … ich … da passe ich niemals rein.“ Es war abscheulich diese Worte sagen zu müssen. Feurige Röte zog sich über ihre Wangen. War ja klar, dass das alles nur ein Witz war. Er wollte sie demütigen, auf übelste Weise. Und sie wäre beinahe darauf reingefallen. Mit zittrigen Händen zog sie sich die Kapuze über und wandte sich ab.
Wolf legte ihr die Hand auf die Schulter. „Hey, warte. Das ist kein Witz. Geh mit mir zum Wunderjunggesellenball. Das Kleid ist wirklich für dich. Irgendwie wirst du da schon reinpassen. Natürlich nur, wenn du willst. Aber wie es aussieht, hast du wohl keine Lust.“
Doch. Hatte sie.
„Na, dann …“ Jetzt war er es, der sich abwandte.
Blitzartig fiel ihr Tante Susis Apfel ein. „Äh, doch. Warte! Ich habe Lust.“
„Du kommst mit?“ Seine Augen blitzen auf. So wie früher.
„Ja. Das mit dem Kleid bekomme ich hin. Wann treffen wir uns?“
Ein breites Grinsen überzog sein Gesicht. „Ich hole dich ab. Samstag um sechs.“
„In einer Woche?“
„In einer Woche, Baby.“
„Okay. Abgemacht.“
„Das Kleid lasse ich dir vorbeibringen.“
„Gut.“
„Dann bis Samstag in einer Woche.“
„Bis Samstag.“
Seine athletische Gestalt verschwand zwischen den Bäumen. Sie starrte ihm hinterher, als wäre er ein Geist. Ein wunderschöner Geist, ein Traum von einem Mann. Sie musste jetzt nur noch dafür sorgen, dass dieser Traum nicht ungeträumt blieb – und diesen verdammten Apfel wiederfinden, damit sie pünktlich zum Fest eher für das Kleid passende Figur hatte. Denn Tante Susi um einen weiteren Apfel zu bitten – eher würde sie sich von einer Klippe stürzen, als sich das dumme Grinsen ihrer Tante anzutun.
Das Fahrrad wurde jetzt doch an den Baum gekettet, samt Korb, denn beim Suchen brauchte sie die Hände frei. Aber wo zum Teufel hatte sie den Apfel hingetreten? Wo hatte sie ihre Tante getroffen. Wo war die Ameisenstraße? Gab es denn in diesem Wald nichts als Bäume, Bäume, Bäume?
Innerlich verfluchte sie ihre nerdige Angewohnheit, niemals ganz genau den gleichen Weg zu nehmen. Trotzdem musste sie es versuchen. In Gedanken tanzte sie schon einen Walzer mit Wolf, schwebte in seinen Armen, spürte seine Hand auf der Hüfte, roch seinen Atem. Sie. Brauchte. Diesen. Apfel.
Die Äste knackten unter ihren Schritten, Brombeerdornen verfingen sich in ihrem Hosenbein, mit einem Ruck befreite sie sich, stürzte vornüber und landete im Moos.
Verdammt.
„Kann ich Ihnen helfen, junge Frau?“
Verwirrt fuhr sie herum, nur, um festzustellen, dass sie dank ihres Körpergewichts gar nicht so einfach herumfahren konnte. Also drehte sie sich um.
Vor ihr stand ein kleiner, untersetzter Herr mit Rauschebart und Rotzbremse. An den äußersten Haaren über der Oberlippe klebten noch gelbe Reste der letzten Mahlzeit. Eine Forstuniform umspannte seine Wampe, der Hut hing halb über seinem Ohr. Er reichte Regina eine Hand und half ihr wieder auf die Beine.
„Kann ich Ihnen helfen?“, wiederholte er seine Frage, nachdem sie ihre Hosenbeine sortiert hatte.
„Ich such einen Apfel.“
„Einen Apfel?“
„Einen roten.“
„Einen roten Apfel?“
„Ja.“ Sein übler Atem ließ sie einen Schritt zurückweichen. „Einen roten Apfel. Er war ein Geschenk von meiner Tante. Ich brauche ihn dringend. Man könnte sagen, mein Leben hängt davon ab. Oder mein Glück. Meine Liebe. Einfach alles.“
„Wo haben sie ihn verloren?“
„Zwischen den Bäumen bei der Ameisenstraße.“
„Aha. Welcher Baum genau?“ Während er sprach, wippte sein Schnäuzer auf und ab, ein Teilchen des gelben Speiserestes löste sich, fiel herab und blieb im Rauschebart kleben.
„Das weiß ich doch nicht mehr.“
„Hmm. Schwierig, schwierig. Wenn sie keine genauere Beschreibung haben …“
„Nein.“
„Ich könnte Ihnen natürlich auch anders helfen.“
„Und wie?“ Sie tat einen Schritt auf ihn zu, bereute es augenblicklich, aber traute sich nicht, wieder zurückzutreten.
„Ich kann Ihnen den Apfel beschaffen.“
„Wirklich?“ Das Kleid blitzte vor ihrem inneren Auge auf. Sie tanzte mit Wolf in einem wunderschönen Kartenhaus.
„Sicher.“
„Ja dann.“
„Es hätte natürlich einen Preis.“
Das Kartenhaus stürzte zusammen. „Wie teuer wird es denn?“
Der Förster lachte hämisch. „Nicht teuer, eine winzige Kleinigkeit.“
„Und was?“
„Sollten sie ihren Liebsten auf dem Fest erobern …“
Woher wusste er denn jetzt von Wolf und dem Ball? „Ja?“
„… gehört der erste Kuss mir.“
„Was?“
„Also? Was ist?“
„Sie wollen einen Kuss?“ Sie presste die Lippen aufeinander.
„Den ersten Kuss. Nur, wenn Sie ihren Liebsten gewinnen. Sonst natürlich nicht.“
„Aber?“
„Das ist doch wohl nicht zuviel verlangt, wenn man bedenkt, was Sie bekommen.“
„Nein. Natürlich.“
„Und? Wollen Sie ihren Apfel zurück?“
Was sollte geschehen? Sollte sie wirklich Wolfs Herz erobern, dann würde ihr liebster doch verhindern, dass dieser sabbernde Bartträger sie küsste, oder nicht? Eigentlich war es ein völlig gefahrloser Deal. „Ja. Bitte helfen Sie mir.“
„Und ich bekomme den ersten Kuss?“
„Ja.“
„Abgemacht?“
„Abgemacht.“
Mit einem Freierlächeln schnippte er mit den Fingern. Ein winziger Blitz fuhr aus den Fingerspitzen. Dann steckte er seine Hand in die Uniformtasche und zog … den Apfel heraus. „Bitte sehr.“
„Aber.“ Ihr blieb nun schon zum zweiten Mal an diesem Tag der Mund offen stehen. „Woher?“ Es war tatsächlich Tante Susis Apfel, samt Marzipangeruch.
„Wir sehen uns. Danken Sie mir später.“
Ehe sie sich versah, stand sie wieder alleine im Wald.

Weiter geht’s: Kapitel 4

Hinter den Kulissen

Heute war Paula Roose dran, an deren Kapitel wir etwas rumdoktern mussten, da sich Regina in der ersten Fassung doch etwas zu sehr „geistig umnachtet“ anfühlte, als sie viel zu schnell auf Wolf eingegangen ist.
Ursprünglich war der Förster auch ein Polizist, aber so tief im Wald, war das dann doch etwas unpassend.
Von Paula könnt ihr übrigens im Verlauf des Märchensommers ihr Buch „Drachenschuld“ als Rundenpreis der dritten Märchenrallye Runde und als zwei der kleinen Hauptpreise des Sommers gewinnen.
Anne/PoiSonPaiNter

Die Baba? Die Jaga? Die Baba Jaga! (Teil 1)

Read in English

Heute gibt es wieder einen Gastbeitrag. Diesmal zu einer meiner Lieblingsfiguren und weil Katherina so viel zu ihr schreiben konnte, haben wir entschieden den Beitrag aufzuteilen, ein bisschen was kommt also noch später..

Grimm’sche Hexe und Baba Jaga – zwei Mal Hexe? – Teil 1

Letztes Jahr berichtete ich von den berühmten russischsprachigen Märchensammlern und Dichtern, dieses Jahr beleuchte ich den Unterschied zwischen Baba Jaga und den namenlosen Hexen bei den Brüdern Grimm. Aus Übersichtsgründen fokussiere ich mich dabei vor allem auf die Figur der Baba Jaga in russischsprachigen Märchen, es gibt noch zahlreiche regionale Unterschiede, so die Tradition der „Pechtrababajagen“ im heutigen Kärnten oder eine kleine Region im heutigen Slowenien, in der „Baba Jaga“ früher ein Synonym für den Winter war.

Herkunft und historische Herleitung

Die europäische Hexe ist allen bekannt, hier möchte ich nur die Basics auffrischen. Magiekundige Frauen sind schon bei Homer belegt und auch das nicht gerade positiv, sowohl Kirke als auch Medea haben kein gutes Ende. Hier sind die Hexen allerdings noch junge, attraktive Frauen, die zusätzlich der Zauberkraft mächtig sind.
Grundsätzlich waren zauberkundige Frauen jedoch in der Literatur und Geschichte nicht ausschließlich negativ besetzt – aus großer Macht folgt große Verantwortung und so sieht man hier Frauen, die ihre Zauberkräfte nutzen, um ihre Gelüste zu erfüllen (Kirke), um sich zu rächen oder Frauen, die aufgrund tiefster Verzweiflung ihre Kräfte spielen lassen.

Im Sagenbereich vermischen sich dann Sagen über Hexen mit Geschichten über menschenfressende Figuren. Sagen wir, es ist kompliziert.

Noch komplizierter wird es bei der Baba Jaga, die möglicherweise von einer nornenähnlichen Figur abstammt. Oder einer Göttin. Oder einem Tiergeist. Weiter unten mehr dazu.

Der Name

Ein Unterschied springt sofort ins Auge – während Baba Jaga einen eigenen Namen hat und mit diesem genau eine (in einigen Märchen auch genau drei) Person(en) gemeint ist, ist das Wort „Hexe“ ein Sammelbegriff.

Baba Jagas Name lässt sich in zwei Bestandteile aufschlüsseln. „Baba“ ist ein auch heute noch verwendetes Wort für „Weib“. Heute nur noch im Sinne von „grobschlächtige, nicht feminine, meist ältere Frau“, früher hingegen ein ganz normales Wort. Statt „Babuschka„, dem russischen Wort für Großmutter, bringen außerdem viele Eltern ihren russischsprachigen Kindern erst einmal die vereinfachte Form „Baba“ bei, weil es analog zu „Mama“ und „Papa“ für einen Kindermund angeblich einfacher zu bilden ist.
Schwieriger wird es beim zweiten Teil, „Jaga“. Einige Forscher*innen führen ihn auf den polnischen Vornamen „Jadwiga“ zurück, andere leiten ihn vom urslawischen Wort für „Schrecken“, dem slowenischen Wort für „Zorn“ und dem alttschechischen Wort für „Lamie“ ab. Einige Ethymologen sehen eine Verbindung zum urslawischen Wort für „Schlange“ oder „Untier“. Der erste Beleg für diesen Namen stammt von Giles Fletcher, dem Älteren, einem englischen Dichter und Diplomaten, der in seiner Schrift „Of the Russe Common Wealth “ von 1588 erwähnte, von der Anbetung eines goldenen Götzen der Baba Jaga gelesen zu haben. Es scheint sich also um eine alte slawische Göttin zu handeln.

Das Wort „Hexe“ ist etymologisch sehr schwierig. Man kann es auf Wörter wie „Hagzissa“ zurückführen und es ist mit dem modernen englischen „hag“ verwandt (das wiederum was mit Zäunen zu tun hat). Oder mit alten norwegischen Wörtern für „Elbin“ und „Dienstmädchen“. Ähm. Es ist schwierig. Das Wort selbst scheint jedoch erst mit der Christianisierung wirklich die Bedeutung „Frau, die (Schadens-)Zauber wirkt“, angenommen zu haben.

Andere Wissenschaftler*innen interpretieren den Namen nicht als Zaun- sondern als Zaunlatte und diesen als Vorform des Flugbesens. Tatsächlich gibt es Geschichten, in denen das Reitgerät der Hexe eine solche ist, sodass auch die Möglichkeit besteht, dass der Name für die Hexe von ihrem ursprünglichen Reitgerät benannt wurde.
Das deutsche Wort ist seit 1402 belegt.

In der mittelalterlichen Lebenswelt war der Zaun das, was das Dorf vom Wald abgrenzt – eine auf dem Zaun sitzende oder reitende Gestalt wäre somit – ähnlich wie Baba Jaga – ein Wesen, das zwischen der Menschenwelt und der Welt der Dämonen sitzt.

Das Aussehen

Hier sind sich die Märchensammler der Vergangenheit einig – sowohl die Grimm’sche Hexe als auch Baba Jaga sind hässliche, alte Frauen. Weniger einig ist man sich darüber, wie viele Hexen es eigentlich gibt.

Während die europäische Hexe austauschbar ist, ist „Baba Jaga“ schließlich ein Eigenname. Ähnlich wie es im keltischen und nordischen Sagenkreis jedoch zauberkundige Frauen gibt, die eine Dreieinigkeit bilden – Jungfrau, Mutter, Alte – gibt es auch Varianten der Geschichte von Baba Jaga, in der drei gleichnamige Schwestern unter einem Dach wohnen: Ein Mädchen, eine Matrone und eine Alte.
Reste davon finden sich in Märchen, in denen eine ungeliebte Stieftochter von der Stiefmutter zu „ihrer Schwester Baba Jaga“ geschickt wird, angeblich, um Nadel und Faden zu holen.
Wichtig ist außerdem, dass die Baba Jaga beispielsweise bei Vladimir Dal bewusst als „mit unbedeckten Haaren und in einem ungegürteten Hemd“ beschrieben wird, was bei den christianisierten Slawen als anstößig gilt.
Baba Jaga wird meist als große, bucklige Frau mit einer langen Nase beschrieben. Oft wird sie auch als „Baba Jaga Knochenbein“ bezeichnet – denn in einigen Geschichten besteht eines ihrer Beine nur aus … Gebein. So kann sie mit einem Fuß im Diesseits, mit dem anderen im Jenseits stehen.

Die Hässlichkeit einer Grimm’schen Hexe dient als äußerer Ausdruck ihrer Boshaftigkeit. Das Märchen kehrt sozusagen das Innere nach außen.

Fähigkeiten

Auf den ersten Blick haben die beiden Hexen viele Gemeinsamkeiten: Beide können zaubern und fliegen. Beiden wird in einigen Märchen Kannibalismus nachgesagt (vgl. „Hänsel und Gretel“ auf der Grimm’schen Seite und Aleksey Tolstois Version des Märchens „Wilde Schwäne„, wenn auch nicht in der Version von Afanasjev und dem Märchen „Baba Jaga„, in dem die Schwester der Hexe ihre ungeliebte Stiefschwester zu ihr schickt. Das Codewort „Ich soll Nadel und Faden holen“ ist für Baba Jaga das Signal, dass ihr das Mädchen als Opfergabe geschickt wurde – also um es zu essen).
Oft hat Baba Jaga eine große Dienerschaft – im bereits erwähnten Märchen „Baba Jaga“ dient ihr ein Hund, ein Kater, Birkenbäume und ein Dienstmädchen, die von der Heldin bestochen werden müssen, damit sie entkommen kann.
Auch eine Hexe wird oft von Tieren begleitet: Meist schwarze Katzen, Raben, Eulen oder Kröten. Manchmal begleiten auch kleine Hunde die Hexe.
Beide können außerdem Menschen in Tiere und Dinge verwandeln – und umgekehrt.
Baba Jaga verschenkt gelegentlich auch Zauberdinge oder etwas Hilfreiches an den vorbeiziehenden Recken oder den gutmütigen Jüngling. Ob sie diese Zauberdinge selbst herstellt, geht aber aus den Märchen meist nicht hervor.
Anders als Baba Jaga (deren Fluggefährt ein Mörser ist), fliegt eine Märchenhexe meist auf einem Besen und reibt sich mit Hexensalbe ein – von Baba Jaga ist eine solche nicht überliefert.

Und damit machen wir Schluss für heute …

Die Autorin

Katherina Ushachov zog im Alter von sechs Jahren aus dem sonnigen Odessa nach Deutschland. Zwanzig Jahre später machte sie Vorarlberg zur neuen Wahlheimat. Sie schreibt seit der Schulzeit, weil sie ohne das Schreiben nicht mehr leben kann. Wenn die freie Lektorin nicht gerade an einem ihrer Romane arbeitet, textet sie für mehrere gemeinschaftlich geführte Blogs oder erzählt auf ihrer Homepage vom Alltag als junge Autorin.

Homepage: Keller im 3. Stock
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Was euch in Teil 2 erwartet:

  • Die Behausung der Hexe und der Baba Jaga (auch wenn ihr letzteres eventuell schon kennt)
  • Die Bedeutung der Baba Jaga (und der Hexe) und
  • das Fazit

Bleibt also gespannt, was es über diese faszinierende Hexe noch zu erfahren gibt.

Anne/PoiSonPaiNter

P.S. Der Beitragstitel ist ein Zitat aus einem der unzähligen russischen Märchenfilme in denen Baba Jaga auftaucht.

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Lies auf Deutsch

The Baba? The Jaga? The Baba Jaga! (Part 1)

Today we have another guest contribution. This time to one of my favorite characters and because Katherina could write so much to her, we decided to split the contribution, so some things will come later.

Grimm’s Witch and Baba Jaga – Twice a Witch? – Part 1

Last year I talked about the famous Russian Fairy Tale collectors and poets, this year I illuminate the difference between Baba Jaga and the nameless witches at the Brothers Grimm. For reasons of clarity, I focus primarily on the figure of Baba Jaga in Russian fairy tales, there are still numerous regional differences, such as the tradition of „Pechtrababajagen“ in today’s Carinthia or a small region in today’s Slovenia, where „Baba Jaga“ used to be a synonym for winter.

Origin and historical background

Everybody knows the European witch, here I just want to refresh the basics. Women who know magic are already documented by Homer and this is not exactly positive either, neither Kirke nor Medea have a good ending. Here, however, the witches are still young, attractive women who also have the power of magic.
Basically, however, magical women were not only negatively represented in literature and history – with great powers comes great responsibility and so here you see women who use their magical powers to fulfill their desires (Kirke), to avenge themselves or women who let their powers unfold because of deepest desperation.

In the legend area legends about witches mix with stories about man-eating characters. Let’s just say it’s complicated.

It gets even more complicated with the Baba Jaga, which possibly comes from a norn-like figure. Or a goddess. Or an animal spirit. More on this below.

The name

One difference is immediately obvious – while Baba Jaga has her own name and by this one (in some fairy tales also exactly three) person(s) is meant, the word „witch“ is a collective term.

Baba Jaga’s name can be broken down into two parts. „Baba“ is still used today for „woman“. Today only in the sense of „coarse, not feminine, mostly older woman“, but in former times a completely normal word. Instead of „Babushka„, the Russian word for grandmother, many parents also teach their Russian-speaking children the simplified form „Baba“, because it is supposedly easier to make for a child’s mouth, analogous to „Mama“ and „Papa“.
The second part, „Jaga“, is more difficult. Some researchers attribute it to the Polish first name „Jadwiga“, others derive it from the original Slavic word for „horror“, the Slovenian word for „anger“ and the Old Czech word for „Lamia„. Some ethymologists see a connection to the original Slavic word for „snake“ or „beast“. The first evidence of this name comes from Giles Fletcher, the Elder, an English poet and diplomat, who mentioned in his 1588 book „Of the Russe Common Wealth“ that he had read about the worship of a golden idol of Baba Jaga. So it seems to be an old Slavic goddess.

The word „witch“ is etymologically very difficult. It can be traced back to words like „Hagzissa“ and it is related to the modern English „hag“ (which in turn has to do with fences). Or with old Norwegian words for (female) „alb“ and „maid“. Um. It is difficult. However, the word itself only seems to have taken on the meaning „woman casting (damage) spells“ with the Christianization.
Other scientists interpret the name not as a fence but as a fence batten and this as a preform of air broom. In fact, there are stories in which the witch’s riding device is one, so there is also the possibility that the name for the witch was named after her original riding device.
The German word „Hexe“ has been used since 1402.
In the medieval world, the fence was what separates the village from the forest – a figure sitting or riding on the fence would therefore be – similar to Baba Jaga – a being sitting between the human world and the world of demons.

The appearance

Here the fairy tale collectors of the past agree – both Grimm’s witch and Baba Jaga are ugly, old women. There is less agreement about how many witches there are.

While the European witch is interchangeable, „Baba Jaga“ is after all a proper name. Similar to the Celtic and Nordic myths, however, there are magical women who form a trinity – virgin, mother, old woman – there are also variants of the story of Baba Jaga, in which three sisters of the same name live under one roof: A girl, a matron and an old lady.
Remains can be found in fairy tales in which an unloved stepdaughter is sent by the stepmother to „her sister Baba Jaga“, allegedly to get a needle and thread.
It is also important that the Baba Jaga is consciously described by Vladimir Dal, for example, as „with uncovered hair and in an unbelted shirt,“ which is considered offensive by the Christianized Slavs.
Baba Jaga is usually described as a tall, hunchbacked woman with a long nose. Often she is also called „Baba Jaga bone leg“ – because in some stories one of her legs consists only of… bone. So she can stand with one foot in this world, with the other in the hereafter.

The ugliness of a Grimm witch serves as an external expression of her malice. The fairy tale turns the inside out, so to speak.

Abilities

At first glance, the two witches have a lot in common: Both can do magic and fly. Both are said to be cannibalistic in some fairy tales (see „Hansel and Gretel“ on the Grimm side and Aleksey Tolstoy’s version of the tale „The Magic Swan Geese„, although not in the version of Afanasjev and the tale „Baba Jaga„, in which the witch’s sister sends her unloved stepsister to her. The code word „I shall get needle and thread“ is the signal for Baba Jaga that the girl was sent to her as a sacrifice – that is to eat her).
Baba Jaga often has a great servanthood – in the aforementioned fairy tale „Baba Jaga“ a dog, a tomcat, birch trees and a maid serve her, who must be bribed by the heroine so that she can escape.
Even a witch is often accompanied by animals: Mostly black cats, ravens, owls or toads. Sometimes even small dogs accompany the witch.
Both can also turn people into animals and things – and vice versa.
Baba Jaga occasionally gives away magical things or something helpful to the passing heroes or the good-natured young man. Whether she makes these magic things herself, however, usually does not originate from the fairy tales.
Unlike Baba Jaga (whose flying vehicle is a mortar), a fairy tale witch usually flies on a broom and rubs herself with witch ointment – there is no such story of Baba Jaga.

And that’s the end of it for today…

The Authoress

Katherina Ushachov moved from the sunny Odessa to Germany at the age of six. Twenty years later she turned Vorarlberg into her new chosen home. She is writing since school times, as she can’t live without writing any more. When the free Copy Editor isn’t working on one of her novels, she writes for several collaboratively lead Blogs or talks about her every day life as young authoress on her homepage.

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What you can expect in Part 2:

  • The house of the witch and the Baba Jaga (even if you may already know the latter)
  • The Meaning of Baba Jaga (and the Witch) and
  • the Conclusion

So stay tuned for more information about this fascinating witch.

Anne/PoiSonPaiNter

P.S. The post’s title is a quote from one of the many Russian Fairy Tale movies Baba Jaga appears in.

#CroMär: Kapitel 2

Nachdem wir letzte Woche mit Regina in den Wald gegangen sind, geht es heute weiter mit dem zweiten Kapitel des #CroMär, des Crossover Märchens.

Kapitel 2 – Apfelprobleme

Sie radelte über den leicht holperigen Weg, immer tiefer in den Wald hinein. Es roch nach feuchter Erde und Moos. Das Sonnenlicht, gefiltert durch das dichte Blätterdach über ihr, tauchte alles in einen leichten hellgrünen Schimmer. Es war beinahe, als würde man unter Wasser fahren. Cool, dachte Regina. Aber am coolsten: keine Leute hier. Es gab sowieso überall viel zu viele Leute. Krabbelten durcheinander, schubsten, drängten, nervten. Regina war nicht besonders gesellig. Zu viele Menschen auf einmal machten ihr Kopfschmerzen.
„Regina? Juhu, Reginaaaaa!“
Da hatte sie sich wohl zu früh gefreut. Regina legte eine Vollbremsung hin. Sie konnte gar nicht anders. Denn da, genau vor ihr, war eine kleine, schlanke Frau in einem grellen, pinkfarbenen Jogging-Outfit aufgetaucht: Tante Susi. Ganz plötzlich, als hätte der Wald sie ausgespuckt. Regina konnte es dem Wald nicht verdenken. Sie würde auch spucken, wenn ihr diese botoxlippige Barbie im Magen liegen würde.
„Regina, Schätzchen, du machst auch Sport? Das ist eine hervorragende Idee. Wir können ja mal zusammen joggen.“
Susi warf gekonnt die blonden Locken zurück (Hildes Haarsalon: färben, föhnen, neuester Klatsch und Tratsch zusammen 300.- Euro mindestens) und musterte vielsagend Reginas kaum vorhandene Taille. Na wunderbar. Das hatte gerade noch gefehlt.
„Ich muß zu Oma. Notfall.“
„Und Proviant hast du dir auch mitgenommen, wie ich sehe?“
Die gekonnt gezupften Augenbrauen hoben sich. Susi hatte den Picknickkorb erspäht.
„Ist für Oma“, stellte Regina klar.
„Ah ja.“
Süffisanter Tonfall. Susi, rank und schlank, ihrem großen Vorbild Heidi Klum unermüdlich nacheifernd, war eine der Schlimmsten, die Regina ständig wegen ihres Gewichtes nervten. Wunderdiäten, Wunderpillen und am besten den Magen per Operation kleiner schnippeln. Susi schreckte vor nichts zurück. Hauptsache, Size Zero. Regina würde gerne ein paar Pfunde verlieren. Aber sie hatte nicht die geringste Lust, eine Nullnummer zu werden.
„Ich muss weiter.“
„Natürlich, Schätzchen, ich will dich ja auch gar nicht aufhalten. Aber ich hab da was, das wollte ich dir unbedingt zeigen.“
Susi nahm ihren kleinen stylischen Rucksack vom Rücken, öffnete ihn und holte … einen Apfel heraus.
„Hier, für dich.“
„Ne, danke. Hab keinen Hunger.“
Susi lächelte fein. „Du glaubst bestimmt, das ist nur ein ganz gewöhnlicher, wenn auch sehr rotbackiger, süß-saftiger Apfel?“
Regina zuckte mit den Schultern. Sie hatte nichts gegen Äpfel. Nur was gegen eine Apfeldiät.
„Aber das ist kein gewöhnlicher Apfel. Das ist eine neue Züchtung, mit Ballaststoffen. Du isst drei Stück am Tag, morgens, mittags, abends. Sie schmecken köstlich, versorgen dich mit allen nötigen Nährstoffen, vertreiben dein Hungergefühl und du wirst sehen, deine überflüssigen Kilos verschwinden wie durch Zauberhand. Eigentlich reicht schon einer, und du wirst keinen Hunger mehr haben.“
Eine neue Züchtung? Regina wollte gar nicht wissen, was da an Chemie und Gentechnik so alles drinsteckte. Aber das war Susi natürlich völlig egal. Sie arbeitete als Chemikerin für einen großen Kosmetikkonzern, der seine Cremes an wehrlosen Tieren ausprobierte und seine Abwässer so gut wie ungefiltert in den Fluss nebenan leitete.
„Ich bin doch keines von deinen Versuchskaninchen!“
„Völlig ungefährlich. Mein halbes Labor hat die schon probiert“, versicherte Susi.
„Danke, nein.“
„Schätzchen, du kannst bis zu sieben Kilo abnehmen in nur einer Woche. Denk doch mal an Wolf.“
Das war nicht fair. Woher wusste Susi von Reginas Schwäche für ihn? Wolf, der berühmteste, berüchtigtste Sohn der Stadt. Gewinner eines landesweiten Talentwettbewerbes, steile Karriere als Rockmusiker: Wolf & The Hounds of Hell würden in einer Woche in der Stadt gastieren. Wolf, ihr alter Sandkastenfreund, Nachbar, erste große Liebe und erste große Enttäuschung. Wolf, der nur interessiert war an den heißen Mädchen, denen, die sexy waren und selbstbewusst. Und trotzdem hatte Regina seine Karriere mitverfolgt, hatte Zeitungsartikel ausgeschnitten und sich natürlich alle seine Platten gekauft.
„Ich habe übrigens gehört, dass er schon hier in der Gegend sein soll“, flötete Susi. „Seine Mutter besuchen.“
„Ist mir egal“, behauptete Regina.
Aber ihr Herz machte einen verräterischen kleinen Hüpfer. Regina dachte an das Konzertticket, dass sie sich online bestellt hatte. Sie starrte den Apfel an. Sieben Kilo in einer Woche? Wer‘s glaubt … Und selbst wenn. Wolf würde sich wahrscheinlich gar nicht mehr an sie erinnern.
„Ich will nur dein Bestes“, sagte Susi mit süßem Lächeln und legte den rotbackigen Apfel in den Picknickkorb. „Denk in Ruhe darüber nach. Aber nicht zu lange.“
Regina sah ihr nach, wie sie leichtfüßig davonjoggte. Der Apfel glänzte einladend. Regina erinnerte sich an Wolfs Lächeln. Seine strahlend weißen Zähne, seine grünen Augen. Die langen dunklen Haare, die breiten Schultern.
Regina griff nach dem Apfel.

Weiter geht’s: Kapitel 3

Hinter den Kulissen

Der heutige Beitrag stammt von Carola Wolff, die nicht nur ihren Namensvettern eingeführt hat, sondern bei deren Nachnamen ich grundsätzlich die Anzahl der Ls und Fs vertausche …

Im Verlauf des Märchensommers kannst du übrigens ihr Buch „Der Fluch des Erlkönigs“ als Gesamtpreis der vier Märchenrallye Runden und als einen der Hauptpreise des Sommers gewinnen.

Anne/PoiSonPaiNter

Es war einmal ein Brüderpaar …

Read in English

Letztes Jahr hat Hannes sich der Mär vom Chen angenommen, dieses Mal beschäftigt er sich mit dem sprachlichen Einfluss der Brüder Grimm auf unsere heutige Märchenwelt.

Das Märchensommer Banner zeigt eine Scherenschnitt-Fee, die Glitzer auf den verschnörkelten Schriftzug "Märchensommer" über einem aufgeschlagenen Buch streut. Alles vor einer grünen Wiese neben einem Baum und Sonnenstrahlen im Hintergrund.

Es war einmal ein Brüderpaar …

Jeder in deutschen Landen kennt die Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm, nicht zwingend aus eigener Anschauung. Die halbe Welt kennt die Grimm‘schen Märchen und das meist dank einer (äußerst freien) Filmadaption. Dennoch sind die Brüder Grimm die ersten Autorennamen, wenn wir an Märchen denken, und ihre Stimmen sind das Maß, wenn wir uns den Text vorstellen. Dabei wollten sie weder Autoren sein, noch eine eigene Stimme in diesen Märchen zeigen.

Am Anfang war die Bitte, Könnt ihr für mich Märchen sammeln? Diese ersten 50 Märchen hat Clemens Brentano (dt. Schriftsteller des 19. Jh.) nie verwendet, aber die Brüder Jacob und Wilhelm Grimm sammelten weiter Märchen und Erzählungen. In ihrer letzten Ausgabe der Kinder- und Hausmärchen stehen über 200 Märchen geschrieben. Sie suchten eine unverfälschte Form deutscher Literatur und deutscher Kultur. Das 19. Jahrhundert war im Ganzen auf der Suche nach einer deutschen Identität und der eigenen Nation und für die Grimms war Sprache der Weg zu einer Antwort. Sie sammelten nicht nur Märchen, sondern auch Legenden, mittelalterlichen Minnesang, althochdeutsche Epen und vieles mehr. Ihre Märchensammlung ist nur die berühmte Spitze des Eisberges.

Randbemerkung: Vor allem Wilhelm Grimm sammelte und schrieb an den Texten, Jacob Grimm kümmerte sich mehr um die wissenschaftlichen Anmerkungen. Jacob Grimm ist wesentlich bekannter für seine sprachwissenschaftlichen Arbeiten und seine Deutsche Grammatik ist eine der Gründungsschriften der Germanistik.

Die Kinder- und Hausmärchen waren die Grimm‘sche Antwort auf die Frage: Was ist ureigentlich deutsch? Sie übernahmen Geschichten wie Rotkäppchen, welche in ganz Europa verbreitet war, weil sie glaubten hier eine Spiegelung germanischer Kultur zu sehen. Und was ist schon germanische Kultur, wenn nicht der Anfang von Deutschheit? Unter ihren Quellen (sprich: ausgewählte Menschen, die ihnen Märchen erzählten) befanden sich auch Hugenotten, also Franzosen. Denke der Leser hierzu bitte seinen eigenen Teil.
Um diese Deutschheit stärker aus den Märchen zu heben, führten die Grimms regionale Wendungen, Dialektsprache und gerne Plattdeutsch in ihre Textfassungen ein. Unter den Grimms hieß die Freundin der sieben Zwerge noch „Sneewittchen“ und obwohl ihr Name heute an unsere Standard sprechenden Zungen angepasst ist, Hochdeutsch ist er immer noch nicht. Niemand nennt sie „Schneeweißchen“.
Allerdings überarbeiteten sie die Märchentexte nicht nur in Hinblick auf dialektale Sprache. Nach der ersten Veröffentichung und der teilweise harschen Kritik überarbeitete Wilhelm Grimm die sexuellen Anspielungen, die in vielen Märchen vorhanden waren und nicht als kindgerechet angesehen wurden. Aus Rapunzel beispielsweise nahm er die deutliche sexuelle Beziehung zwischen dem Prinzen und dem Mädchen im Turm heraus. Außerdem fügte er so manchesmal Moral in den Text ein, um Gewalt abzuwschächen oder die Lehre zu verdeutlichen. Es sollte eben kinderfreundlicher werden.
Die Märchen sollten auch leserfreundlich sein, also fügte Wilhelm Grimm ihnen mehr Details ein, erfand Dialoge und arbeitete Motive, Themen und Handlungsstränge aus. So mancher Märchentext wuchs in dieser Weise auf die doppelte Länge an. Darüber hinaus passte er die Erzählsprache der Märchen einander an, damit sie stilistisch zueinander passen und nicht wie das bunt zusammengewürfelte Sammelsurium klangen, dass sie eigentlich waren. Er arbeitete einen rustikalen Ton heraus und gab den Wörtern einen deutschen Anstrich. Wenn in vielen Märchen von Feen, Prinzen und Prinzessinnen die Rede war – alles französische Wörter – verdeutschte er diese Figuren zu Zauberinnen, weise Frauen und Königssöhnen bzw. -töchtern.

Wenn es heißt „Es war einmal …“, dann hören wir Wilhelm Grimm erzählen, weniger eine Urformel der Märchenerzählung. Wenn es heißt „Sie hätte Schneewittchens Lunge und Leber gegessen“, dann ist es Wilhelm Grimms Verdienst, dass sie nicht mehr Schneewittchens leibliche Mutter und damit diese schreckliche Szene weniger schrecklich war. Wenn es heißt „Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier, aber Schneewittchen über den Bergen bei den sieben Zwergen ist noch tausendmal schöner als Ihr“, dann lesen wir Wilhelm Grimms Dichtkunst. Wenn es heißt „Es geschah aber, daß ein Königssohn in den Wald geriet und zu dem Zwergenhaus kam“, dann schrieb Wilhelm Grimm jedes Wort so deutsch, wie er nur konnte.

Die halbe Welt kennt die Brüder Grimm als die Autoren von Märchen und dieser Ruhm wird ihrem Einfluss auf die Gestalt von Märchen gerecht. Sie verfassten die Formeln und Wendungen, die wir alle aus Märchen kennen und von Märchen erwarten. Sie waren mehr als nur Sammler auf der Suche nach deutscher Kultur. Sie erschufen deutsche Kultur.

Der Gastautor:

In Greifswald studierte Hannes Laumeier Sprachwissenschaft und trat mit dem Autorenverein GUStAV zu Lesungen auf. Das Publikum lachte, weinte und staunte mit seinen Kurzgeschichten. Er schreibt von Problemen der Liebe und des Alltags, von Mythen, Magie und Tod, von fremden Kulturen und Sprachen. Sein Lieblingszitat ist: „Habe keine Angst vor der Perfektion: du wirst sie nie erreichen.“ (Salvador Dalí)

Homepage: Tintenlöwe
Twitter: Ingenius11

Anne/PoiSonPaiNter
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Lies auf Deutsch

Last year Hannes took up the Tale of Chen, this time he looks at the linguistic influence of the Brothers Grimm in our Fairy Tale world today.

Das Märchensommer Banner zeigt eine Scherenschnitt-Fee, die Glitzer auf den verschnörkelten Schriftzug "Märchensommer" über einem aufgeschlagenen Buch streut. Alles vor einer grünen Wiese neben einem Baum und Sonnenstrahlen im Hintergrund.

Once upon a time there were two brothers …

Everyone in Germany knows the Children’s and Household Tales by the Brothers Grimm, not necessarily of their own viewing. Half the world knows of Grimm’s folk tales and often thanks to a (exceedingly free) film adaptation. Nevertheless, the Brothers Grimm are the first authors, when we think about Fairy Tales, and their voices are the measurement, when we imagine the wording. Although they did not want to be authors, nor did they want their voices to show off in these folk tales.

In the beginning was the request: Could you collect some folk tales for me? These first 50 tales were never used by Clemens Brentano (germ. writer in the 19th century), but the brothers Jacob and Wilhelm Grimm collected more tales and stories. The last issue of their Children’s and Household Tales included more than 200 tales. They searched for a pure form of German literature and German culture. The 19th century as a whole was searching for a German identity and their own nation. The brothers thought language was the way to an answer. They not only collected folk tales, but also legends, medieval minnesongs, Old High German epics and much more. Their collection of folk tales is just the famous tip of the iceberg.

Side note: Primarily Wilhelm Grimm collected and wrote these tales, Jacob Grimm mostly took care of the scientific annotations. Jacob Grimm is mostly famous for his linguistic work and his German Grammar is one of the founding papers of the academic field of German language and literature studies.

The Children’s and Household Tales were the Grimm’s answer to the question: What is innately German? They adopted stories like Little Red Riding Hood, which was widely spread in all of Europe, because they thought it reflected Germanic culture. And what is Germanic culture, if not the beginning of Germaness? Among their sources (say: chosen people, who told them folk tales) were Huguenots, thus French people. May the reader make of this what he wants.
To emphasize this Germaness in their folk tales, the Brothers used regional phrases, dialects and their liked to use Low German in their versions. For example, in the Grimm’s version the friend of the seven dwarfs was still called „Sneewittchen“ and even though her name nowadays has been adapted to our Standard German speaking tongues, it’s still not High German. Nobody calls her „Schneeweißchen“.1
But they did not only revise with regard to dialectal language. After the first publication and some harsh critics Wilhelm Grimm reworked the sexual innuendos, which were present in many of the tales but were not deemed as appropriate for children. In Rapunzel he deleted the sexual relationship between the prince and the girl in the tower. Furthermore, he added some morality to weaken the violence or to polish the education value. The tales should be child friendly after all.
Also, the tales should be reader friendly, hence Wilhelm Grimm integrated more details, imagined dialogue and strengthened motives, themes and plot lines. Some of the text grew twice as long with this method. Moreover, he leveled the narrative language of the tales, so they became stylistically similar and less like a colorful random smorgasbord, which they actually were. He worked in a rustic tone and gave the words a German coat. Whenever there were fairies, princes and princesses mentioned in the tales – all of them words of French origin – he germanized these characters as „Zauberinnen“ (enchantresses), „weise Frauen“ (wise women) and „Königssöhne“ or „Königstöchter“ (king’s son and daughters).

When it says „Once upon a time …“, then we hear Wilhelm Grimm narrating, less a prototype of the narration of folk tales. When it says „She had eaten Snow-White’s lungs and liver“, then it is to Wilhelm Grimm’s credit it wasn’t Snow Whites biological mother anymore and therefore this terrible scene was a little less terrible. When it says „Mirror, mirror, on the wall, who in this land is fairest of all?“ – „You, my queen, are fair; it is true. but Snow-White is a thousand times fairer than you“, then it is Wilhelm Grimm’s poetic talent we witness. When in the German version it is a „king’s son“ who kisses Snow White, then Wilhelm Grimm wrote every word as German as he possibly could.

Half the world knows the Brothers Grimm as the authors of fairy tales and their fame lives up to their influence on the form of folk tales. They invented phrases, we all know from Fairy Tales and we also expect from them. They were more than just collectors in search of German culture. They created German culture.

1 For everyone not familiar with German dialects: „snee“ is Low German for „Schnee“ (eng. snow); and „wittchen“ is Low German for „weißchen“ (eng. little white).

The Guest-Author:

Hannes Laumeier studied linguistics in Greifswald and performed readings with the author association GUStAV. The audience laughed, cried and marveled at his short stories. He writes about the problems of Love and everyday life, about myths, magic and death, about foreign cultures and language. His favourite quote is: „Don’t fear perfection: You will never reach it.“ (Salvador Dalí)

Homepage: Tintenlöwe
Twitter: Ingenius11

Anne/PoiSonPaiNter

Inspiration Superheld*in

Read in English

gestern gab es dann das große Gewinnspiel, an dem ihr noch bis 20.5. teilnehmen könnt, heute lassen wir die Nerdwoche mit diesem Gastbeitrag von Katherina Ushachov ausklingen. Denn das beste an Superheld*innen ist doch, dass sie die eigene Phantasie anregen …

Inspiration Superheld*in

Vermutlich war ich schon mit acht ein Nerd (eine Nerdin? Gibt es dafür ein weibliches Wort?), ohne es zu wissen. Während die meisten Kinder durchaus klassische Dinge spielten – Vater-Mutter-Kind, Barbie liebt Ken, Polly Pocket trifft Freundinnen – habe ich ziemlich früh festgestellt, dass ich das eher langweilig finde. Damals wusste ich nicht, wieso eigentlich – aber im Nachhinein ist die Sache klar.

Die Neunziger waren die Zeit der Superheld*innen

1997 sind wir nach Deutschland eingewandert. Im März. Während andere Familien ihre gehorteten Ersparnisse, das Erbtantengeschirr und andere Dinge ausführten, hatten wir nur vier große Taschen dabei. Eine davon enthielt die Kleidung einer vierköpfigen Familie und ein paar Grundlagen, was man eben so braucht, wenn man in einem fremden Land ein neues Leben startet. Kochgeschirr, Bettwäsche. Eine enthielt außerdem Bücher. Meine Märchenbücher, Vaters vollständige Ausgabe von Dumas, ein paar russische Krimis. Eine war ausschließlich mit meinen Plüschtieren gefüllt.

In der letzten war ein Fernseher.
Das war mein Glück. Trickfilme habe ich schon immer geliebt und 1997-1999 war die Auswahl in der Hinsicht ziemlich gut.
Es gab RTL 2, auf dem damals hauptsächlich Animes liefen. Dann natürlich SuperRTL mit den alten Disneyserien. Auf Pro7 lief unter dem Oberbegriff „Trick 7 – Die große Trickfilmshow“ anfangs jeden Abend, später jedes Wochenende am Vormittag ein buntes Trickfilmprogramm. Auch Kabel 1 hat bis heute ein buntes Zeichentrickprogramm Samstag vormittags, Sonntag morgens und Sonntag vormittags. Und wer von euch kennt noch „K-RTL“? Das Kinderprogramm von RTL, das von 06:00 bis 11:40 lief? Und natürlich auch den KiKa, damals noch „Kinderkanal“ und das alte Nickelodeon (1995-1998 – und ja, ich habe bitterlich geweint, als der Sender für sieben Jahre eingestellt wurde!).

Was habe ich nun am liebsten geschaut?

Ohne eine bestimmte Reihenfolge:

  • Sailor Moon
  • Spider-Man (es gibt mehrere Spiderman-Serien, vermutlich „Spider-Man und seine außergewöhnlichen Freunde“)
  • Die Fantastischen Vier (vermutlich „Die Fantastischen Vier mit neuen Abenteuern“ von 1994)
  • Superman (da konnte ich nicht durch Recherche ermitteln, welche Superman-Animationsserie es war)
  • Batman (auch da leider nicht, in den Neunzigern wurde gar keine Serie produziert, muss also älter sein)
  • Darkwing Duck
  • Bionic Six – Die Sechs-Millionen-Dollar-Familie

Der schmale Grat zwischen Fanfiction, Plagiat und der Schreibe eines Grundschulkinds

Ich habe hier schon mal darüber gebloggt, wie meine ersten Gehversuche im Schreiben entstanden sind, die nicht von der Schule diktiert wurden.
Im Grunde genommen entstand meine erste eigene Superheldin, Kyt-Katherina, aus mehreren Faktoren:

  • ich fand die Geschichte mit „Mein Heimatplanet wurde zerstört und wir mussten alle dort weg“ bei „Superman“ interessant
  • ich mochte das Outfit von Darkwing Duck
  • mir gefiel das Konzept eines Magical Girls

Aber es sind auch Sachen eingeflossen, die ich unlogisch fand. Okay, Spider-Man trägt einen Ganzkörperanzug und auch einige andere Superheld*innen sind ausreichend verkleidet. Aber Superman? Den erkennt man nur wegen einer läppischen Brille nicht? (Andererseits wurde ich so oft nicht wegen der Brille erkannt, das ist vielleicht noch glaubwürdig) Und niemand erkennt in Bunny Tsukino Sailor-Moon, obwohl zumindest das Outfit ihrer allerersten Verwandlung sich kaum von ihrer Schuluniform unterscheidet?
Brille, meinetwegen. Aber wenn ich mir eine Brosche auf die Brust tackere, ellbogenlange Handschuhe anziehe und mir irgendeine Art Tiara auf den Kopf setze, dazu Overknees und Strasssteinchen in meiner Frisur … würde man mich höchstens fragen, wieso ich mich so komisch verkleidet habe. Aber niemand hätte Zweifel, dass ich das bin.

Das war etwas, das ich bei meiner Geschichte anders machen wollte – wofür ich dann auf eine ziemlich verzwickte Idee gekommen bin:

  • die Alter-Egos meiner Heldinnen sehen vollkommen anders aus, als ihre Heldengestalt
  • meine Heldinnen nehmen die Gestalten der Mädchen ein, in deren Häusern sie unterkommen und tauschen gelegentlich den Platz mit der tatsächlichen Tochter des Hauses

Dass meinem achtjährigen Ich nicht aufgegangen ist, dass das auch kein gutes Konzept ist, schreibe ich meinem Alter zu. Immerhin müssten die zwei Ichs einander regelmäßig briefen, damit sie nicht auf einmal Dinge wissen oder nicht wissen, die andere Personen zu ihnen gesagt haben.

Inspiration Superheldin

Ich erinnere mich noch sehr gut, wie es war, ehe ich „Sailor Moon“ entdeckt habe. In den meisten Trickfilmen gab es Gruppen. Und in den meisten Gruppen gab es entweder:

  • genau ein Mädchen (beispielsweise „Trixi“ aus „Chip und Chap – Die Ritter des Rechts“)
  • genau ein Mädchen, das zusätzlich nur in wenigen Folgen auftaucht („Nicky“ in den „Ducktales“)
  • zwar zwei immer vorkommende Frauenfiguren, aber eine von ihnen ist eine mütterliche Matrone und die andere verhält sich oft unreif („Disneys Gummibärenbande“, mit „Grammi“ als Matrone und „Sunni„, die gerne eine Prinzessin wäre)
  • genau eine Frau und die ist meist eher unsympathisch („Rebecca Cunningham“ aus „Käpt’n Balu und seine tollkühne Crew“, die ich anfangs wirklich nicht gemocht habe)

Als Kind habe ich mich an die wenigen Frauenfiguren geklammert. Selbst wenn es absolute Nebenfiguren waren, die nur in einer von zehn Folgen mal auftauchten. Wie Prinzessin Calla aus „Disneys Gummibärenbande“, die recht selten auftaucht, mir aber mit ihrer Art eine angenehmere Identifikationsfigur bot, als Sunni.
Oder selbst wenn es sich um Antagonistinnen handelte. Ich mochte Jessy von „Team Rocket“ immer mehr, als die launische und dauernd meckernde Misty, als ich die erste Staffel „Pokémon“ sah. Hauptsache, ich sah mal ein Mädchen oder eine Frau. Klar konnte ich mich auch mit Jungen oder Männern in einer Superheldengeschichte identifizieren, aber … nicht so gut, wie mit Mädchen und Frauen.

Und dann kam mit Sailor Moon das Genre des „Magical Girls“-Animes in mein Leben. Und es war wunderbar. In einer reinen Mädchengruppe gab es auf einmal verschiedene Identifikationsfiguren für verschiedene Aspekte meiner Persönlichkeit und meines Lebens.
Ich hatte so dunkle Haare wie Rei/Sailor Mars. Und naschte so gerne, wie Bunny/Sailor Moon. An manchen Tagen war ich so eitel, wie Minako/Sailor Venus. Und ich wollte genauso immer gute Noten haben, wie Ami/Sailor Merkur. Um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Ich war nicht mehr darauf angewiesen, mich irgendwie mit der Quotenfrau oder dem Quotenmädchen auf Biegen und Brechen identifizieren zu müssen (und somit im Zweifel gar keine richtige Identifikationsfigur zu haben, egal, wie sehr ich die anderen Figuren mag). Das Friss-oder-Stirb-Prinzip in Hinblick auf Heldinnen war also durchbrochen.
Ich war regelrecht ausgehungert nach inspirierenden Superheldinnen und habe mich mit Feuereifer in die nur scheinbar pinke Glitzerwelt von Sailor Moon geworfen.

Einflüsse auf mein heutiges Schreiben

Neben dem Einfluss, den diverse Held*innen auf meine ersten eigenen Schreibversuche hatten, merke ich immer noch, wie mich vor allem der Frauenmangel in den mir zugänglichen Medien beeinflusst.

Mit anderen Worten: Ich neige stark dazu, nahezu reine Frauengruppen agieren zu lassen, wenn man mir nicht auf die Finger haut.
Selbst in „Zarin Saltan“ gibt es mit Viktor und Kurschakov nur zwei Männer, die einen Namen haben und Sprechanteile am Text besitzen. Alle anderen Figuren, die irgendwie relevant sind, sind Frauen. Und das sind dann mal schnell fünf bis sieben, je nachdem, wen man mitzählt, auch einige mehr.

Während sich sehr viele Autor*innen damit auseinandersetzen müssen, „wenigstens ein paar starke Frauen“ in ihren Texten unterzubringen, muss ich eher darauf achten, dass die vielen unterschiedlichen und auf ihre Weise starken Frauen in meinen Geschichten einander nicht das Wasser und die Redeanteile abgraben. Und dass ich keine „Quotenmänner“, sondern runde, männliche Persönlichkeiten in meine Geschichten einbaue.

Was sich nicht leugnen lässt: Ich schreibe nach wie vor Figuren, die irgendwie „super“ sind. Super mutig. Super heldenhaft. Super neugierig. Super sarkastisch. Super fies.

Einige haben auch tatsächlich Superkräfte. Auch wenn die Gründe dafür manchmal seltsam sind. Irgendwann erzähle ich euch, wie es dazu kam, dass ich eine Rasse von Magier*innen geschaffen habe. (Eigentlich drei, wenn man es genau nimmt.)

Fazit

Ich habe hier vor allem über die Inspiration durch Heldinnen geschrieben. Und über die Negativinspiration durch Helden und meinen geistigen Durst, doch endlich etwas über eine Frauentruppe zu lesen, die stark und mutig ist.

Aber eigentlich wünsche ich mir, dass genau das den künftigen Generationen erspart bleibt.

Schreibt Helden. Schreibt Heldinnen. Schreibt Held*innen, also Figuren, mit denen sich auch nonbinäre Personen identifizieren können. Schreibt über Menschen und andere Wesen mit chronischen Krankheiten, über Wesen mit körperlichen und geistigen Einschränkungen. Über Menschen, die nicht immer nur weiß und heterosexuell sind, sondern das ganze vielfältige Spektrum des Lebens abbilden. (Bleibt dabei respektvoll und hört zu, wenn euch Own Voices sagen, dass ihr Quatsch gebaut habt und bitte einige Details ändern sollt.)

Damit junge Menschen nicht verzweifelt versuchen, jemanden in den Medien zu finden, der so ist wie sie. Sondern ganz selbstverständlich zum Buchladen gehen und Geschichten finden, in denen auch ihre Realität reflektiert wird. Damit Menschen jeden Alters nicht das Gefühl haben, sie könnten keine Held*innen sein.

Die Autorin

Katherina Ushachov zog im Alter von sechs Jahren aus dem sonnigen Odessa nach Deutschland. Zwanzig Jahre später machte sie Vorarlberg zur neuen Wahlheimat. Sie schreibt seit der Schulzeit, weil sie ohne das Schreiben nicht mehr leben kann. Wenn die freie Lektorin nicht gerade an einem ihrer Romane arbeitet, textet sie für mehrere gemeinschaftlich geführte Blogs oder erzählt auf ihrer Homepage vom Alltag als junge Autorin.

Homepage: Keller im 3. Stock
Lektorat: Phoenixlektorat
Weltenbau: Weltenschmiede
Facebook: Katherina Ushachov – Autorin
Twitter: @evanesca


Mit diesen tollen Worten endet die Nerdwoche!
Ich hoffe ihr hattet Spaß, habt ein paar neue Dinge gelernt und vielleicht einen etwas anderen Blick auf Superheldinnen bekommen.

Vielen Dank an alle die mitgemacht haben, alle Gastautorinnen und alle die bereits und noch am Gewinnspiel teilnehmen werden!

Mehr zu Zarin Saltan und einen weiteren Gastbeitrag von Katherina wird es auch wieder in der zweiten Runde des Märchensommers geben, bleibt also gespannt! Am 28. geht’s los!

Anne
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Lies auf Deutsch

For a week now we have been talking about superheroines, yesterday there was the big competition, in which you can still participate until 20.5., today we will close the nerd week with this guest post by Katherina Ushachov. Because the best thing about superhero*iens after all is that they stimulate your imagination…

Inspiration Superhero*ine

I guess I was a nerd (a nerdett? Is there a female word for that?) at eight without knowing it. While most children played classic things – father-mother-child, Barbie loves Ken, Polly Pocket meets friends – I found it rather boring quite early on. At that time I didn’t know why – but in retrospect it was clear.

The nineties were the time of superheroes.

In 1997 we immigrated to Germany. In March. While other families were carrying out their accumulated savings, heirloom dishes and other things, we only had four large bags with us. One of them contained the clothes of a family of four and a few basics that you need when you start a new life in a foreign country. Cookware, bed linen. One also contained books. My fairy tale books, father’s complete edition of Dumas, some Russian detective stories. One was filled exclusively with my stuffed animals.

In the last one was a TV.
That was my fortune. I have always loved cartoons and in 1997-1999 the selection was quite good in this respect.
There was RTL 2, which mainly ran anime at that time. Then of course SuperRTL with the old Disney series. On Pro7, a colourful animated film programme was shown under the general heading „Trick 7 – Die große Trickfilmshow“ (Cart 7 – The great Cartoonshow) at the beginning every evening, later every weekend in the morning. To this day Kabel 1 also has a colourful cartoon programme on Saturday mornings, Sunday mornings and Sunday mornings. And which of you still knows „K-RTL“? The children’s program on RTL, which ran from 06:00 to 11:40? And of course also the KiKa, at that time still „Kinderkanal“ (children’s channel) and the old Nickelodeon (1995-1998 – and yes, I cried bitterly when the station was closed for seven years!).

What did I like to watch the most?

Without a specific order:

  • Sailor Moon
  • Spider-Man (there are several Spiderman series, probably „Spider- Man and his amazing friends„)
  • The Fantastic Four (probably „Fantastic Four“ from 1994)
  • Superman (I couldn’t find out through research which Superman animation series it was)
  • Batman (unfortunately not here either, no series was produced in the nineties, so it must be older)
  • Darkwing Duck
  • Bionic Six – The Six Million Dollar Family

If you look at the whole thing, you can see a clear weighting with regard to my preferred TV series. Sure, I’ve seen other things. Disney’s Adventures of the Gummi Bears (which, strictly speaking, can also be seen as a superhero group with their bouncing potion), TaleSpin, Chip ’n Dale Rescue Rangers.
Okay. I’ll stop.
Let’s say, somehow almost everything I’ve seen had something to do with superhero*ines.

The fine line between fan fiction, plagiarism and the writing of a primary school child

I have blogged here about my first steps in writing that were not dictated by the school.
Basically, my first own superheroine, Kyt-Katherina, arose from several factors:

  • I found the story with „My home planet was destroyed and we all had to leave it“ from „Superman“ interesting
  • I liked Darkwing Duck’s outfit.
  • I liked the concept of a magical girl.

But there were also things that I found illogical. Okay, Spider-Man wears a full body suit and also some other superhero*ines are sufficiently disguised. But Superman? The only reason you don’t recognize him is because of stupid glasses? (On the other hand, I was not recognized so many times because of my glasses, which might still be believable) And nobody recognizes Sailor-Moon in Bunny Tsukino, although at least the outfit of her very first transformation is hardly different from her school uniform?
Glasses, whatever. But if I put a brooch on my chest, put on elbow-length gloves and put some kind of tiara on my head, plus overknees and rhinestones in my hairstyle… one would only ask me why I dressed up so strangely. But no one would doubt it was me.

That was something I wanted to do differently in my story – for which I came up with a rather tricky idea:

  • the alter-egos of my heroines look completely different from their heroic form.
  • my heroines occupy the images of the girls in whose houses they are accommodated and occasionally switch places with the real daughter of the house

I attribute the fact that my eight-year-old I didn’t realize, that this is not a good concept either, to my age. After all, the two egoes would have to brief each other regularly so that they do not suddenly know or do not know things that other people have said to them.

Inspiration Superheroine

I remember very well what it was like before I discovered „Sailor Moon“. Most cartoons had groups. And in most groups there were either:

  • exactly one girl (for example „Gadget“ from „Chip ’n Dale Rescue Rangers“ )
    exactly one girl who additionally only appears in a few episodes („Webby in the „DuckTales„)
  • two ever-present female figures, but one of them is a maternal matron and the other is often immature („Disney’s Adventures of the Gummi Bears“, with „Grammi“ as matron and „Sunni„, who would like to be a princess)
  • exactly one woman and she is usually rather unpleasant („Rebecca Cunningham“ from „TaleSpin“, whom I really didn’t like at first)

As a child I clung to the few female figures. Even if they were absolute minor characters who only appeared in one of ten episodes. Like Princess Calla from „Disney’s Adventures of the Gummi Bears“, who appears quite rarely, but with her personality offered me a more pleasant identification figure than Sunni.

Or even if they were antagonists. I always liked Jessy from „Team Rocket“ more than the moody and constantly grumpy Misty when I saw the first season of „Pokémon„. The most important thing was to see a girl or a woman. Of course I could identify with boys or men in a superhero story, but… not as well as with girls and women.

And then the genre of the „Magical Girls“-Anime came into my life with Sailor Moon. And it was wonderful. In a group of girls there were suddenly different identification figures for different aspects of my personality and life.
I had dark hair like Rei/Sailor Mars. And snacked as much as Bunny/Sailor Moon. Some days I was as vain as Minako/Sailor Venus. And I always wanted to have good grades, just like Ami/Sailor Mercury. Just to name a few examples.

I no longer had to identify myself with the quota woman or the quota girl by hook or by crook (and so in the end I didn’t have a real identification figure, no matter how much I like the other characters). So the „eat or die“ principle with regard to heroines was broken.

I was really starved for inspiring superheroines and threw myself into the only seemingly pink glittering world of Sailor Moon.

Influences on my writing today

Besides the influence that various hero*ines had on my first attempts at writing, I still notice how the lack of women in the media accessible to me influences me.

In other words: I have a strong tendency to let almost pure women’s groups interact when I’m not hit on the fingers.
Even in „Zarin Saltan“ (Tzaritza Saltan) there are only two men, Viktor and Kurshakov, who have a name and have an talking part in the text. All other characters that are somehow relevant are women. And that’s quickly five to seven, depending on who you count, a few more.

While a great many author*esses have to deal with including „at least a few strong women“ in their texts, I have to make sure that the many different and in their own way strong women in my stories do not pull the rug and the speaking parts from underneath each other. And that I don’t build „quota men“, but round, male personalities into my stories.

Which cannot be denied: I still write figures that are somehow „super“. Super brave. Super heroic. Super curious. Super sarcastic. Super mean.

Some actually have superpowers. Even if the reasons for this are sometimes strange. At some point I will tell you how it came to be, that I created a race of magicians. (Actually three, if you take it exactly.)

Conclusion

I’ve written here mainly about inspiration through heroines. And about the negative inspiration caused by heroes and my spiritual thirst to finally read something about a women’s group which is strong and courageous.

But that’s exactly what I wish future generations to be spared from in the first place.

Write heroes. Write heroines. Writes hero*ines, meaning characters with whom even non-binary persons can identify. Write about people and other beings with chronic diseases, about beings with physical and mental limitations. About people who are not always white and heterosexual, but who represent the whole diverse spectrum of life. (Remain respectful and listen when Own Voices tell you that you’ve done something stupid and to please change some details.)

So that young people don’t desperately try to find someone in the media who is like them. But go to the bookstore and find stories in which their reality is also reflected. So that people of all ages don’t feel like they can’t be hero*ines.

The Authoress

Katherina Ushachov moved from the sunny Odessa to Germany at the age of six. Twenty years later she turned Vorarlberg into her new chosen home. She is writing since school times, as she can’t live without writing any more. When the free Copy Editor isn’t working on one of her novels, she writes for several collaboratively lead Blogs or talks about her every day life as young authoress on her homepage.

Homepage: Keller im 3. Stock
Copy Editor: Phoenixlektorat
Worldbuilding: Weltenschmiede
Facebook: Katherina Ushachov – Autorin
Twitter: @evanesca


With these great words the nerdweek ends!
I hope you had fun, learned some new things and maybe got a slightly different look at superheroines.

Many thanks to all who took part, all guest authoresses and all who already and will participate in the competition!
More about Tsarina Saltan and a further guest post by Katherina will also be in the second round of the Fairy Tale Summer, so stay tuned! The 28th is the day!

Anne