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Im Verlauf des Märchensommers stellen meine Gastautor*innen ja gerne mal einige Dinge in Frage. Heute zum Beispiel beschäftigt sich Carmen Capiti mit der Frage, was nun eigentlich der Unterschied zwischen einem Märchen und einer Sage ist.
Märchen und Sagen – ein Vergleich
Hach ja, Märchen! All diese wunderbaren Geschichten, die die meisten von uns schon seit unserer Kindheit begleiten.
Ich persönlich kenne die meisten (weichgespülten) Märchen ja vermutlich durch Walt Disney. Andere würden sagen, dass ihre Eltern und Großeltern ihnen früher bereits Märchen vorgelesen haben. Bei mir waren dies aber vielmehr alte Sagen und Legenden aus unserer Region.
Aber was sind Märchen denn eigentlich ganz genau? Und was unterscheidet sie von anderen Geschichten, insbesondere von Sagen?
Ich bin keine Sprachwissenschaftlerin und habe keine Literatur studiert. Trotzdem versuche ich, die oben gestellten Fragen anhand kleiner Beispiele zu beantworten.
Als Erstes stelle ich euch dazu das wunderschöne selbstgeschriebene Märchen von Laura Kier »Kirschen im Winter?« vor.
In diesem Märchen ist Jack Frost, eigentlich verantwortlich für den Winter, müde geworden von seinem Streit mit Sian Morgenröte. Da erhält er aber unverhofft Besuch von Rocks, einem sturen Schaf, das sich in den Kopf gesetzt hat, dass Kirschen und grüne Wiesen im Winter gefälligst nichts zu suchen haben.
Was definiert »Kirschen im Winter?« als Märchen?
- Es gibt keine konkrete Zeit- oder Ortsangabe. Märchen finden meistens »Vor langer, langer Zeit…« In einem »weit entfernten Königreich« statt.
- Es gibt sprechende Tiere. Rocks ist ein sprechendes Schaf und weder Jack Frost, noch der Leser wundert sich wirklich darüber.
- Es beinhaltet weitere fantastische Elemente, die wie Alltäglichkeiten behandelt werden. Beispielsweise ist zweifellos klar, dass Jack Frost dafür verantwortlich ist, dass es den Winter gibt.
Im zweiten Schritt nehme ich mir folgende beiden Bücher vor[, die gestern hier vorgestellt wurden]:
In »Das Sagenbuch zum Stephansdom« sammelt die Autorin alte Sagen rund um den Stephansdom in Wien. Diese Sammlung hat sie jedoch auch um zwei eigene Sagen ergänzt, in denen sie auf aktuellere Geschehnisse Bezug nimmt.
»Die Geister von Ure« ist ebenfalls eine Sagen-Sammlung, jedoch habe ich hier eine Handvoll Innerschweizer Bergsagen genommen und diese zu einer einzigen, zusammenhängenden Geschichte verwoben. Wichtig ist hier, dass das Buch zwar in einer fiktiven Welt stattfindet, ich jedoch mit allen Ortschaften und vielen Personen und Geschehnissen auf reale historische Hintergründe anspiele.
Beide Bücher zeigen die Charakteristiken einer Sage:
- Es gibt klare historische Bezüge in den Geschichten. In »Die Geister von Ure« wird beispielsweise auf das Interesse der Habsburger am Gotthard-Pass und den daraus resultierenden Konflikt Bezug genommen.
- Es gibt konkrete Ort- und Zeitangaben. »Das Sagenbuch zum Stephansdom« behandelt ganz spezifisch den Stephansdom und die Ereignisse, welche sich darum ranken.
- Die Geschichten folgen nicht immer den Naturgesetzen. In »Die Geister von Ure« gibt es beispielsweise Naturgeister, welche nach ihrem Willen Lawinen und Bergstürze auslösen können oder Tiere zu Monstern mutieren lassen. Beim Stephansdom erzählt man sich unter anderem, dass Gott Brot zu Stein hat werden lassen, um eine hartherzige Frau zu bestrafen.
Die Unterschiede zwischen Märchen und Sagen sind mit den Beispielen schon mal deutlich. Wo aber überschneiden sich nun diese Erzählungen nun?
Beide umfassen fantastische, übersinnliche Elemente, was sie auch zu einem Vorreiter der Phantastik machen. Beide haben außerdem das Ziel, zu belehren. Schon die Brüder Grimm schrieben im Vorwort ihres Buches, dass es als Erziehungsbuch dienen sollte.
Die Nachricht von Märchen sind häufig moralischer Natur. »Kirschen im Winter?« überträgt die Nachricht, dass man nicht nachtragend sein sollte und ein ehrliches Gespräch häufig viele Probleme aus dem Weg schaffen kann. (Und dass Schafe einfach toll sind, aber das ist vermutlich meine eigene, moralfreie Interpretation…)
Die Sagen, welche sowohl in »Das Sagenbuch zum Stephansdom« und teilweise in »Die Geister von Ure« behandelt werden, fußen meistens im Christentum. Sie versuchen, den Menschen aufzuzeigen, wozu Gott und Teufel fähig sind und womit man rechnen muss, wenn man sich mit ihnen anlegt.
Beides – Märchen sowie Sagen – sind also Geschichtsgattungen, welche den Menschen ermahnen sollen, ein gutes und anständiges Leben zu leben – wobei die Definition eines solchen Lebens sich natürlich durchaus auch gewandelt hat. Und das Wichtigste: Beide Gattungen bringen eine satte Portion Phantastik mit.
Die Autorin
Carmen Capiti wuchs in der Zentralschweiz auf und arbeitet heute in Zürich im Bereich der Informationssicherheit. Das Schreiben entdeckte sie in frühen Jahren auf der Schreibmaschine ihrer Großeltern und verfasste während ihrer Schulzeit diverse Zeitungsartikel und Kurzgeschichten. 2015 gründete sie mit drei weiteren Autorinnen den Verein Schweizer Phantastikautoren.
Ihr Debüt-Roman „Das letzte Artefakt“ erschien im März 2015 und wurde nominiert für den SERAPH 2016 – Bestes Debut. Seither veröffentlichte sie den phantastischen Roman „Die Geister von Ure“ sowie die beiden ersten Bände ihrer Cyberpunk-Trilogie (Maschinenwahn, Maschinenschmerz).
Homepage: Carmen Capiti
Instagram: carmencapiti
„Die Geister von Ure“, sowie „Die Perlmuttschmetterlinge“ von Laura Kier könnt ihr im Verlauf des Märchensommers als E-Book und/oder Print gewinnen!
Anne/PoiSonPaiNter
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Lies auf Deutsch
In during the fairy tale summer my guest author*esses like to challenge some things. Today, for example, it is Carmen Capiti who asks the question of what is actually the difference between a fairy tale and a legend.
Fairy tales and legends – a comparison
Ah, yes, fairy tales! All these wonderful stories that have accompanied most of us since childhood.
Personally, I probably know most (softened) fairy tales through Walt Disney. Others would say that their parents and grandparents used to read them fairy tales. For me, however, these were rather the old myths and legends from our region.
But what exactly are fairy tales? And what distinguishes them from other stories, especially legends?
I am not a linguist and have not studied literature. Nevertheless, I try to answer the questions above by means of small examples.
First of all, I would like to introduce you to Laura Kier’s beautiful self-written fairy tale »Kirschen im Winter?« (Cherries in Winter?)
In this fairy tale Jack Frost, actually responsible for the winter, gets tired of his fight with Sian Dawn. But he unexpectedly receives a visit from Rocks, a stubborn sheep who has taken it into its head that cherries and green meadows have no place in winter.
What defines „cherries in winter“ as a fairy tale?
- There is no specific time or location. Fairy tales usually take place „a long, long time ago…“ In a „far-away kingdom“.
- There are talking animals. Rocks is a talking sheep and neither Jack Frost nor the reader is really surprised.
- It contains other fantastic elements that are treated like everyday occurrences. For example, it is undoubtedly clear that Jack Frost is responsible for the winter.
In the second step I will look at the following two books[ which were presented here yesterday]:
In „Das Sagenbuch zum Stephansdom“ the authoress collects old legends about the St. Stephen’s Cathedral in Vienna. However, she has also added two legends of her own to this collection, in which she refers to more recent events.
„Die Geister von Ure“ is also a collection of legends, but here I have taken a handful of mountain legends from Central Switzerland and woven them into a single, coherent story. It is important here that the book takes place in a fictitious world, but I allude to real historical backgrounds with all the towns and many people and events.
Both books show the characteristics of a legend:
- There are clear historical references in the stories. In „Die Geister von Ure“, for example, reference is made to the Habsburgs‘ interest in the Gotthard Pass and the resulting conflict.
- There are specific dates and places. „Das Sagenbuch zum Stephansdom“ deals specifically with St. Stephen’s Cathedral and the events surrounding it.
- Stories do not always follow the laws of nature. In „Die Geister von Ure“, for example, there are natural spirits that can trigger avalanches and landslides or mutate animals into monsters. In Stephansdom it is said, among other things, that God turned bread into stone to punish a hard-hearted woman.
The differences between fairy tales and legends are already clear with the examples. But where do these stories overlap then?
Both contain fantastic, supernatural elements, which also make them pioneers of fantasy. Both also have the goal of teaching. Already the Brothers Grimm wrote in the preface of their book that it should serve as an educational book.
The message of fairy tales is often a moral one. „Kirschen im Winter?“ conveys the message that one should not hold a grudge and that an honest conversation can often solve many problems. (And that sheep are just great, but that’s probably my own moral-free interpretation…)
The legends, which are dealt with both in „Das Sagenbuch zum Stephansdom“ and partly in „Die Geister von Ure“, are mostly based on Christianity. They try to show people what God and the devil are capable of and what to expect when dealing with them.
Both – fairy tales and legends – are thus literature genres which are intended to exhort people to live a good and decent life – although the definition of such a life has, of course, also changed. And the most important thing: Both genres bring along a rich portion of fantasy.
The authoress
Carmen Capiti grew up in Central Switzerland and now works in Zurich in the field of information security. She discovered writing in her early years on her grandparents‘ typewriter and wrote various newspaper articles and short stories during her schooldays. In 2015, together with three other female authors, she founded the Schweizer Phantastikautoren (Swiss Association of Fantastic Authors).
Her debut novel „Das letzte Artefakt“ (The Last Artifact) was published in March 2015 and was nominated for the SERAPH 2016 – Best Debut. Since then she has published the fantastic novel „Die Geister von Ure“ and the first two volumes of her cyberpunk trilogy (Maschinenwahn – Machine Delusion, Maschinenschmerz – Machine Pain).
Homepage: Carmen Capiti
Instagram: carmencapiti
Anne/PoiSonPaiNter