#CroMär: Kapitel 13

Heute geht es weiter mit dem #CroMär!

Das Märchensommer Banner zeigt eine Scherenschnitt-Fee, die Glitzer auf den verschnörkelten Schriftzug "Märchensommer" über einem aufgeschlagenen Buch streut. Alles vor einer grünen Wiese neben einem Baum und Sonnenstrahlen im Hintergrund.

Weiter geht’s …

Im Schneidersitz setzte Ralf sich vor die Ziege. Der Titel eines Films ging Regina durch den Kopf, »Männer, die Ziegen anstarren« oder so.

»Was tut er da?«, kommentierte Marie und lehnte sich dichter zu Regina, ebenfalls mit verschränkten Armen. Ihre Schultern stießen dabei aneinander, oder zumindest Maries Schulter mit Reginas Oberarm, war sie doch einen Ticken größer.

»Irgendwie herausbekommen, ob die Ziege verzaubert ist?« Regina verzog das Gesicht. Trotz der Stunden bei ihrer Oma und Ralf, änderte es nichts daran, dass sie im Prinzip keine Ahnung von Magie hatte.

»Und dann?«

Tja, was kam dann, das war eine sehr gute Frage. Regina zuckte mit den Schultern. »Vielleicht gibt es einen Weg sie zu ent-zaubern.«

»Hast du das schon Mal gemacht?« Die Neugierde in Maries Stimme war eindeutig.

Unsicher scharrte Regina mit der Fußspitze über den Rasen. »Jaaa…«

»Oh, oh, wie lief das ab?« Marie hüpfte neben ihr auf und ab.

Widerwillig erzählte Regina von Wolfs Rückverwandlung, ließ allerdings aus, um wen genau es sich handelte.

»Wow!«, entfuhr es Marie, die sie mit weit aufgerissenen Augen ansah. »Hoffentlich schaffen wir das auch, das wäre so schön!«

Regina konnte den Enthusiasmus zwar nicht ganz nachvollziehen, aber einen Menschen aus einer Verwandlung retten klang gut. Und wenn nicht, wussten sie immerhin, dass diese Ziege definitiv nicht zum Melken oder Schlachten da war. Ein Schauer lief ihr den Rücken hinunter bei der Vorstellung, dass jemand genau das mit ihr regelmäßig getan haben könnte. Die drei Federn, die Ralf Wolf ausgerissen hatte waren schon fragwürdig gewesen, aber der Gedanke eine menschliche Ziege zu melken, nein, den wollte sie lieber nicht zu Ende führen.

Es dauerte eine ganze Weile, bis Ralf mühsam aufstand und zu ihnen hinüberkam, die Ziege im Schlepptau.

»Und, und?«, fragte Maria sogleich aufgeregt.

»Kennt ihr das Märchen vom Hirsch mit dem goldenen Geweih?«

Kurz überlegte Regina mit zusammengekniffenen Augen, doch das einzige, das ihr dazu einfiel war zu fragen: »Das ist Russisch oder?«

Doch ihre Frage wurde von Maries enthusiastischen »Oh! Mein Lieblingsmärchen! Die Mutter ist so badass!« überdeckt.

Fragend sah Regina zu ihr hinüber und sogleich startete Marie in eine Zusammenfassung: »Aaalso! Da war diese Mutter mit drei Kindern, ein Junge und zwei Zwillingsschwestern.«

Regina musste sich auf die Zunge beißen, um den Satz nicht zu korrigieren, konzentrierte sich stattdessen auf das weiter gesagte.

»Jedenfalls, wie kleine Kinder so sind, sind sie vom rechten Weg abgebogen um Pilze zu sammeln, die von den Waldgeistern für sie gepflanzt wurden, damit sie in das Reich der Baba Yaga gelangen.«

»Baba Yaga?« Der Einwurf war schneller aus Regina heraus, als sie ihn aufhalten konnte. Noch zu genau erinnerte sie sich an die Hexe, die versucht hatte, die Kräfte ihrer Oma zu rauben. Dass sie real war, stand außer Frage, aber was hatte sie mit der Ziege zu tun.

»Natürlich Baba Yaga, das ist immer die Hexe in Russischen Märchen!« Marie stemmte mit einem abwertenden Blick die Hände in die Hüften, so als ob Regina das doch wissen sollte. »Jedenfalls!«, begann sie von Neuem, »werden sie natürlich von der Baba Yaga gefunden und in Rehkitze verwandelt. Das bekommt dann die Mutter mit macht sich auf den Weg mit einem Hund und einem Laib Brot.«

Verwirrt blickte Regina zwischen den Beteiligten hin und her, wieso war das Brot wichtig? In der Geschichte ihrer Oma gab es auch welches, aber da hatte es keine tiefere Bedeutung als einen Test für Hilfsbereitschaft.

»Der Junge folgt ihr auf alle Fälle und wird in eine Ziege verwandelt und die Mutter bekommt dann durch den Hirsch mit dem goldenen Geweih Kräfte, um die Baba Yaga zu besiegen. Als die Hexe tot ist, werden alle wieder zurückverwandelt.« Nun zuckte Marie mit den Schultern. »So zumindest die Grobfassung.«

»Sehr grobe Fassung«, stimmte Ralf zu und Regina glaubte einen bitteren Unterton herauszuhören.

Es war klar, dass Regina noch einiges über Märchen lernen musste, bis sie eines Tages die Aufgaben ihrer Oma übernehmen wollte. Wenn Lösungen in ihnen lagen, dann sollte sie diese auch kennen. Zumindest konnte sie sich denken, was Ralf ihr mit diesem Märchen sagen wollte. Nach einem Seufzen nickte Regina zur Ziege. »Du meinst-?«

»Jup.« Die Antwort war begleitet von einem verschmitzten Lächeln, das er ihr immer gab, wenn er stolz auf eine ihrer Schlussfolgerungen war.

Um sich nicht anmerken zu lassen, wie sie sich gerade innerlich aufplusterte, bat sie ihn die Situation genauer zu erklären.

»Wie die Kinder im Märchen, wurde sie von der Baba Yaga verwandelt, warum, konnte sie mir nicht mehr sagen. Nur, dass sie mich bei ihren Ausbrüchen gesucht hat, um wieder menschlich zu werden.«

Das erklärte zumindest, warum sie Wolf damals hergescheucht hatte und seitdem öfter hier aufgeschlagen war.

»Die gute Nachricht: Ich weiß, wie wir sie zurückverwandeln.« Er machte eine dramatische Pause, in der auch er die Ziege betrachtete, die nahezu betrübt ihren Kopf senkte. »Die Schlechte: Sie wurde vor mehr als hundert Jahren verwandelt. Das heißt, ich habe keine Ahnung, ob sie danach zu Staub zerfällt und selbst wenn nicht, kann ich nicht sagen, ob überhaupt noch jemand aus ihrer Familie lebt.« Bedrückte Stille legte sich über sie, doch Ralf war noch nicht fertig. »Und Yaga hat einen Warnzauber auf ihr, den ich erst lösen muss, damit sie nicht herausfindet, dass wir daran arbeiten. Auch, wenn sie vermutlich das Zicklein von damals längst vergessen hat.«

Nachwort

Könnt ihr erraten, welches Märchen hier thematisiert ist?

Ein paar Gedanken dazu, da es sich um ein Russisches Märchen handelt – und vor allem auch dem Stream über Slawische Märchen (5.8. 18 Uhr) mit Ria Winter, Christian Handel und Saskia Dreßler auf Saskias Twitch-Kanal:

Wir sind uns (hoffentlich) alle einig sind, dass Krieg totaler Mist ist.

Von Anfang an waren Russische Märchen und Beiträge (Russische Märchensammler, Baba Yaga – Teil 1, Teil 2, Verfilmungen – alle Beiträge von Katherina Ushachov) dazu ein Bestandteil des Märchensommers, immerhin bin ich hauptsächlich damit aufgewachsen. Das #CroMär hat zudem schon 2018 den Baba Yaga-Charakter bekommen. Das jetzt einfach fallen zu lassen erscheint mir falsch.

Wenn die Schreibende Person selbst in negatives Verhalten gegen andere Menschen involviert ist verstehe ich es voll und ganze deren Werke nicht weiter zu bewerben. Aber einen kompletten kulturellen Bereich einfach ignorieren – ggf. sogar verteufeln – wegen aktueller politischer Ereignisse, das kann ich nicht nachvollziehen. Immerhin war das schon weit vorher da.

Da der Märchensommer immer einen Platz hat für kritische Stimmen (s. Rachels Beitrag zu Antisemitismus in Märchen) nehme ich auch gerne einen Gastbeitrag der sich genau mit dieser Diskrepanz zwischen Kultur und aktueller politischer Lage befasst.

Nächsten Mittwoch geht es weiter!

Anne/Poisonpainter

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