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#CroMär: Kapitel 16

Und nun sind wir auch schon beim letzten Teil des diesjährigen #CroMärs angelangt …

Das Märchensommer Banner zeigt eine Scherenschnitt-Fee, die Glitzer auf den verschnörkelten Schriftzug "Märchensommer" über einem aufgeschlagenen Buch streut. Alles vor einer grünen Wiese neben einem Baum und Sonnenstrahlen im Hintergrund.

Weiter geht’s …

Ralf führte sie in ein niedrigeres Zimmer des Turms, dessen Wände mit Kleiderschränken unterschiedlichster Bauart vollgesellt war. Einige von ihnen wirkten wie noch aus dem Mittelalter, einige etwas moderner.

»Wozu brauchst du so viele Klamotten?«, konnte Regina sich die Frage nicht verkneifen.

Ralf zuckte mit den Schultern. »Es hat sich über die Jahre angesammelt und vielleicht kann man es ja mal wieder gebrauchen.«

Regina betrachtete ihn skeptisch. »Du hast hier Klamotten aus mehreren Jahrhunderten?«

Erneut tat er es mit einem Schulterzucken ab.

»Du würdest vermutlich diversen Museen eine gigantische Freude damit machen, wenn du hier mal ausmistest …«, überlegte Regina laut und verschränkte die Arme, »für meine Mutter wäre das schon wie Weihnachten und Geburtstag zusammen.«

Mit einem bestätigenden Brummen widmete Ralf sich einem der älteren Schränke aus dunklem Holz. Zwischen Mänteln zog er ein Leinenhemd hervor, dass ihm bis zu den Knien reichen musste. »Das trug man früher so«, erklärte er beiläufig auf ihren fragenden Blick und ging zu einem modernen Schrank aus dem er eine Jogginghose zog.

Für den Moment ging Regina nicht weiter darauf ein und entschied sich das Thema zu wechseln. »Ist Russisch eine der Sprachen, die du über die Jahrhunderte gelernt hast?«

Ralf drehte sich von ihr weg, aber seine Anspannung war deutlich zu erkennen. Anstatt seines sonst lockeren Tons, wenn er ihr von seinen Erfahrungen berichtete, wirkte er eher bedrückt. Ganz so, als ob er es ihr nicht sagen wollte. »Es ist meine Muttersprache.«

Regina stutzte, verdrehte den Kopf und kniff die Augen zusammen. »Dann ist Ralf Stöckel wirklich nur ein Pseudonym.« Zumindest brachte sie ihn damit zum Lachen, auch wenn er immer noch verkrampft wirkte.

»Ich hatte über die Jahre hinweg so viele Namen, dass ich mich gar nicht mehr an alle erinnere«, gab er schließlich zu. Ein trauriger Unterton schwang in seinen Worten mit.

»Magst«, Regina hielt inne, zumindest so viel Märchenbildung hatte sie, dass Rumpelstilzchen und Namen eine schwierige Kombination war, »beziehungsweise kannst du mir deinen echten Namen verraten?«

Er betrachtete sie sehr lange, dann senkte er den Kopf. »Als ich … jünger war, nannten sie mich Koschei.«

Irgendwie hatte Regina das Gefühl, dass das nicht sein Name, sondern ein weiterer Titel war. Sie sollte später mal das Internet danach durchsuchen. »Und zwischendrin Rumpelstilzchen?«

Diesmal schüttelte er den Kopf, ein leichtes Lächeln im Gesicht. »Nein, das war tatsächlich ein anderes Wesen vor langer, langer Zeit.«

»Hast du es … getötet?«

Schnaubend verdreht er die Augen und verschränkte die Arme über die Kleidung, die er noch immer in den Händen hielt. »Wenn du nicht weißt, wie das Märchen endet, sollten wir vielleicht doch mehr Zeit in deine literarische Bildung investieren.«

Gerade als Regina auf diese Unverschämtheit eingehen wollte, begriff sie, was Ralf wirklich tat: Ablenken. Also schnaubte sie nur. »Soll ich dich dann weiter Ralf nennen?«

»Für den Moment«, antwortete er nach kurzem Zögern. »Wir sollten die Sachen hochbringen.«

Mit der Hand bedeutete Regina ihm vorauszugehen. Sie hatte mehr Fragen als vorher und holte sogleich ihr Smartphone hervor. Zum Glück hatte sie die Kunst des Treppensteigens-während-sie-am-Handy-liest mehr als gemeistert. Der Turm hatte genügend Stufen, um es beim Lesen von Uni-Lektüre zwischen den Etagen zu üben. Bald schon hatte sie einen passenden Artikel gefunden, der sie unvermittelt innehalten ließ: Er war irgendwie mit der Baba Yaga verknüpft. Und anscheinend unsterblich.

»Alles okay?«, rief Ralf von wesentlich weiter oben.

Mehrmals öffnete und schloss Regina den Mund, bevor sie ein wenig überzeugendes »Alles okay« hervorpresste. Schnell steckte sie ihr Handy ein und schloss zu ihm auf. Einen besorgten Blick fing sie sich dennoch ein, auch wenn sie ihm nicht in die Augen sehen konnte.

Ein schweres Seufzen entwich Ralf. »Du hast den Namen nachgeschlagen oder?«

Ertappt konnte Regina das nur mit einem Nicken bestätigen.

Mit einem weiteren Seufzen setzte er sich auf die Stufen, die Kleidung im Schoß und klopfte auf den freien Platz neben sich. Regina folgte der Aufforderung, ließ geradeso einen Spalt zwischen ihnen frei. Sie richtete den Blick starr nach vorne. Nach unten schauen hätte vermutlich eher für Schwindel gesorgt.

»Ein Aspekt der Baba Yaga ist meine Mutter«, verkündete Ralf schließlich in die Stille zwischen ihnen.

Regina drehte sich ruckartig zu ihm, schlug dabei mit ihrem Knie gegen seines und zog es wieder ein Stück an sich.

Doch noch bevor sie fragen konnte antwortete er: »Die Yaga, die deine Großmutter angegriffen hat, ist ein anderer Aspekt.«

Sie verstand nicht was das genau bedeutete, aber es half, dass er nicht direkt mit Derjenigen verwand war, die sie und ihre Oma in Pantoffeln verwandelt hatte. »Wenn das hier vorbei ist, möchte ich die ganze Geschichte hören«, bat sie ihn dennoch.

»Irgendwann einmal«, versprach er, sein Mundwinkel zuckte leicht nach oben und Regina stöhnte.

»Jaaa, wenn ich mich ein bisschen mehr weitergebildet habe und meine Kräfte besser unter Kontrolle habe, blablabla…«, äffte sie ihn nach. Teils aus echter Genervtheit, teils um ihn ein wenig aufzuheitern.

»Wenn ich soweit bin«, widersprach Ralf ruhig.

Regina schluckte. Diese Variante hatte sie nicht bedacht. Empathie war definitiv auch etwas, an dem sie noch arbeiten musste. »Tut mir leid.«

Ralf schüttelte den Kopf und stand auf. »Lass uns nach den beiden sehen. Irgendetwas sagt mir, dass wir sie sonst erstmal eine Weile allein lassen sollten, wenn wir uns nicht beeilen.«

Leichte Röte stieg in Reginas Gesicht als sie sich ebenfalls aufrappelte. Und tatsächlich: Als sie das Turmzimmer wieder betraten waren Marie und Maria in einen leidenschaftlichen Zungentango verwickelt. Ralf räusperte sich laut und die beiden sprangen regelrecht auseinander.

»Ich-wir-das-ähm«, stammelte Marie und sah zwischen ihnen hin und her.

Ohne darauf einzugehen überreichte Ralf die Kleidung und drehte sich um. »Du kannst jederzeit herkommen, wenn du Fragen hast oder sich etwas komisch anfühlt«, bot er ruhig an, bevor er etwas auf Russisch sagte.

Auch wenn er es vorhin gesagt hatte, war es seltsam zu hören, wie leicht er in die andere Sprache wechselte. Heute war Regina besonders deutlich geworden wie wenig sie über ihn wusste. Was zwischen Mentor und Lehrling nicht verwunderlich war, aber irgendwie fühlte es sich an, als wenn sie vielleicht eines Tages Freunde werden könnten. Eine innere Stimme sagte ihr, dass ihre Oma sich nie soweit auf ihn eingelassen hatte.

Unerwartet sprang Marie Regina in die Arme und riss sie damit aus den Gedanken.

»Ich meld’ mich bald bei dir!«, versprach sie und drückte sie fest.

Regina tätschelte ihr etwas überfordert den Rücken und nach einer knappen Verabschiedung waren die beiden verschwunden. Unweigerlich musste Regina Lachen, ein richtig tiefes Lachen, dass sie beinahe in die Knie zwang. Sie hatte tatsächlich durch diese absurden Geschehnisse scheinbar eine Freundin gefunden.

Auf Ralfs fragenden Blick hin erklärte sie nur amüsiert: »Die meisten Leute kenn’ ich aus dem Hörsaal nicht durch tierische Rückverwandlungen.«

Das wiederum ließ ihn schnauben. Auf gewisse Weise waren auch sie enger zusammengewachsen. Vielleicht würde er eines Tages genügend Vertrauen zu ihr finden, um ihr mehr zu erzählen. Bis dahin und auch darüber hinaus würde sie sein Geheimnis für sich behalten. Was war schon eines mehr in der Reihe von Dingen, über die sie besser nicht mit Uninvolvierten sprach?

Nachwort

Könnt ihr erraten, welches Märchen hier thematisiert ist?

Ich hoffe euch hat diese kleine Fortsetzung des #CroMär gefallen, vermutlich wird es nächstes Jahr damit weitergehen und wenn alles klappt, könnt ihr vielleicht die ersten drei Teile eines Tages auf einer Messe erwerben. Haltet also die Augen offen!

Anne/Poisonpainter