Daily Archives: 27. Juli 2022

#CroMĂ€r: Kapitel 16

Und nun sind wir auch schon beim letzten Teil des diesjĂ€hrigen #CroMĂ€rs angelangt …

Das MĂ€rchensommer Banner zeigt eine Scherenschnitt-Fee, die Glitzer auf den verschnörkelten Schriftzug "MĂ€rchensommer" ĂŒber einem aufgeschlagenen Buch streut. Alles vor einer grĂŒnen Wiese neben einem Baum und Sonnenstrahlen im Hintergrund.

Weiter geht’s …

Ralf fĂŒhrte sie in ein niedrigeres Zimmer des Turms, dessen WĂ€nde mit KleiderschrĂ€nken unterschiedlichster Bauart vollgesellt war. Einige von ihnen wirkten wie noch aus dem Mittelalter, einige etwas moderner.

»Wozu brauchst du so viele Klamotten?«, konnte Regina sich die Frage nicht verkneifen.

Ralf zuckte mit den Schultern. »Es hat sich ĂŒber die Jahre angesammelt und vielleicht kann man es ja mal wieder gebrauchen.«

Regina betrachtete ihn skeptisch. »Du hast hier Klamotten aus mehreren Jahrhunderten?«

Erneut tat er es mit einem Schulterzucken ab.

»Du wĂŒrdest vermutlich diversen Museen eine gigantische Freude damit machen, wenn du hier mal ausmistest  «, ĂŒberlegte Regina laut und verschrĂ€nkte die Arme, »fĂŒr meine Mutter wĂ€re das schon wie Weihnachten und Geburtstag zusammen.«

Mit einem bestĂ€tigenden Brummen widmete Ralf sich einem der Ă€lteren SchrĂ€nke aus dunklem Holz. Zwischen MĂ€nteln zog er ein Leinenhemd hervor, dass ihm bis zu den Knien reichen musste. »Das trug man frĂŒher so«, erklĂ€rte er beilĂ€ufig auf ihren fragenden Blick und ging zu einem modernen Schrank aus dem er eine Jogginghose zog.

FĂŒr den Moment ging Regina nicht weiter darauf ein und entschied sich das Thema zu wechseln. »Ist Russisch eine der Sprachen, die du ĂŒber die Jahrhunderte gelernt hast?«

Ralf drehte sich von ihr weg, aber seine Anspannung war deutlich zu erkennen. Anstatt seines sonst lockeren Tons, wenn er ihr von seinen Erfahrungen berichtete, wirkte er eher bedrĂŒckt. Ganz so, als ob er es ihr nicht sagen wollte. »Es ist meine Muttersprache.«

Regina stutzte, verdrehte den Kopf und kniff die Augen zusammen. »Dann ist Ralf Stöckel wirklich nur ein Pseudonym.« Zumindest brachte sie ihn damit zum Lachen, auch wenn er immer noch verkrampft wirkte.

»Ich hatte ĂŒber die Jahre hinweg so viele Namen, dass ich mich gar nicht mehr an alle erinnere«, gab er schließlich zu. Ein trauriger Unterton schwang in seinen Worten mit.

»Magst«, Regina hielt inne, zumindest so viel MÀrchenbildung hatte sie, dass Rumpelstilzchen und Namen eine schwierige Kombination war, »beziehungsweise kannst du mir deinen echten Namen verraten?«

Er betrachtete sie sehr lange, dann senkte er den Kopf. »Als ich 
 jĂŒnger war, nannten sie mich Koschei.«

Irgendwie hatte Regina das GefĂŒhl, dass das nicht sein Name, sondern ein weiterer Titel war. Sie sollte spĂ€ter mal das Internet danach durchsuchen. »Und zwischendrin Rumpelstilzchen?«

Diesmal schĂŒttelte er den Kopf, ein leichtes LĂ€cheln im Gesicht. »Nein, das war tatsĂ€chlich ein anderes Wesen vor langer, langer Zeit.«

»Hast du es 
 getötet?«

Schnaubend verdreht er die Augen und verschrĂ€nkte die Arme ĂŒber die Kleidung, die er noch immer in den HĂ€nden hielt. »Wenn du nicht weißt, wie das MĂ€rchen endet, sollten wir vielleicht doch mehr Zeit in deine literarische Bildung investieren.«

Gerade als Regina auf diese UnverschÀmtheit eingehen wollte, begriff sie, was Ralf wirklich tat: Ablenken. Also schnaubte sie nur. »Soll ich dich dann weiter Ralf nennen?«

»FĂŒr den Moment«, antwortete er nach kurzem Zögern. »Wir sollten die Sachen hochbringen.«

Mit der Hand bedeutete Regina ihm vorauszugehen. Sie hatte mehr Fragen als vorher und holte sogleich ihr Smartphone hervor. Zum GlĂŒck hatte sie die Kunst des Treppensteigens-wĂ€hrend-sie-am-Handy-liest mehr als gemeistert. Der Turm hatte genĂŒgend Stufen, um es beim Lesen von Uni-LektĂŒre zwischen den Etagen zu ĂŒben. Bald schon hatte sie einen passenden Artikel gefunden, der sie unvermittelt innehalten ließ: Er war irgendwie mit der Baba Yaga verknĂŒpft. Und anscheinend unsterblich.

»Alles okay?«, rief Ralf von wesentlich weiter oben.

Mehrmals öffnete und schloss Regina den Mund, bevor sie ein wenig ĂŒberzeugendes »Alles okay« hervorpresste. Schnell steckte sie ihr Handy ein und schloss zu ihm auf. Einen besorgten Blick fing sie sich dennoch ein, auch wenn sie ihm nicht in die Augen sehen konnte.

Ein schweres Seufzen entwich Ralf. »Du hast den Namen nachgeschlagen oder?«

Ertappt konnte Regina das nur mit einem Nicken bestÀtigen.

Mit einem weiteren Seufzen setzte er sich auf die Stufen, die Kleidung im Schoß und klopfte auf den freien Platz neben sich. Regina folgte der Aufforderung, ließ geradeso einen Spalt zwischen ihnen frei. Sie richtete den Blick starr nach vorne. Nach unten schauen hĂ€tte vermutlich eher fĂŒr Schwindel gesorgt.

»Ein Aspekt der Baba Yaga ist meine Mutter«, verkĂŒndete Ralf schließlich in die Stille zwischen ihnen.

Regina drehte sich ruckartig zu ihm, schlug dabei mit ihrem Knie gegen seines und zog es wieder ein StĂŒck an sich.

Doch noch bevor sie fragen konnte antwortete er: »Die Yaga, die deine Großmutter angegriffen hat, ist ein anderer Aspekt.«

Sie verstand nicht was das genau bedeutete, aber es half, dass er nicht direkt mit Derjenigen verwand war, die sie und ihre Oma in Pantoffeln verwandelt hatte. »Wenn das hier vorbei ist, möchte ich die ganze Geschichte hören«, bat sie ihn dennoch.

»Irgendwann einmal«, versprach er, sein Mundwinkel zuckte leicht nach oben und Regina stöhnte.

»Jaaa, wenn ich mich ein bisschen mehr weitergebildet habe und meine KrĂ€fte besser unter Kontrolle habe, blablabla «, Ă€ffte sie ihn nach. Teils aus echter Genervtheit, teils um ihn ein wenig aufzuheitern.

»Wenn ich soweit bin«, widersprach Ralf ruhig.

Regina schluckte. Diese Variante hatte sie nicht bedacht. Empathie war definitiv auch etwas, an dem sie noch arbeiten musste. »Tut mir leid.«

Ralf schĂŒttelte den Kopf und stand auf. »Lass uns nach den beiden sehen. Irgendetwas sagt mir, dass wir sie sonst erstmal eine Weile allein lassen sollten, wenn wir uns nicht beeilen.«

Leichte Röte stieg in Reginas Gesicht als sie sich ebenfalls aufrappelte. Und tatsÀchlich: Als sie das Turmzimmer wieder betraten waren Marie und Maria in einen leidenschaftlichen Zungentango verwickelt. Ralf rÀusperte sich laut und die beiden sprangen regelrecht auseinander.

»Ich-wir-das-Àhm«, stammelte Marie und sah zwischen ihnen hin und her.

Ohne darauf einzugehen ĂŒberreichte Ralf die Kleidung und drehte sich um. »Du kannst jederzeit herkommen, wenn du Fragen hast oder sich etwas komisch anfĂŒhlt«, bot er ruhig an, bevor er etwas auf Russisch sagte.

Auch wenn er es vorhin gesagt hatte, war es seltsam zu hören, wie leicht er in die andere Sprache wechselte. Heute war Regina besonders deutlich geworden wie wenig sie ĂŒber ihn wusste. Was zwischen Mentor und Lehrling nicht verwunderlich war, aber irgendwie fĂŒhlte es sich an, als wenn sie vielleicht eines Tages Freunde werden könnten. Eine innere Stimme sagte ihr, dass ihre Oma sich nie soweit auf ihn eingelassen hatte.

Unerwartet sprang Marie Regina in die Arme und riss sie damit aus den Gedanken.

»Ich meld’ mich bald bei dir!«, versprach sie und drĂŒckte sie fest.

Regina tĂ€tschelte ihr etwas ĂŒberfordert den RĂŒcken und nach einer knappen Verabschiedung waren die beiden verschwunden. Unweigerlich musste Regina Lachen, ein richtig tiefes Lachen, dass sie beinahe in die Knie zwang. Sie hatte tatsĂ€chlich durch diese absurden Geschehnisse scheinbar eine Freundin gefunden.

Auf Ralfs fragenden Blick hin erklĂ€rte sie nur amĂŒsiert: »Die meisten Leute kenn’ ich aus dem Hörsaal nicht durch tierische RĂŒckverwandlungen.«

Das wiederum ließ ihn schnauben. Auf gewisse Weise waren auch sie enger zusammengewachsen. Vielleicht wĂŒrde er eines Tages genĂŒgend Vertrauen zu ihr finden, um ihr mehr zu erzĂ€hlen. Bis dahin und auch darĂŒber hinaus wĂŒrde sie sein Geheimnis fĂŒr sich behalten. Was war schon eines mehr in der Reihe von Dingen, ĂŒber die sie besser nicht mit Uninvolvierten sprach?

Nachwort

Könnt ihr erraten, welches MÀrchen hier thematisiert ist?

Ich hoffe euch hat diese kleine Fortsetzung des #CroMÀr gefallen, vermutlich wird es nÀchstes Jahr damit weitergehen und wenn alles klappt, könnt ihr vielleicht die ersten drei Teile eines Tages auf einer Messe erwerben. Haltet also die Augen offen!

Anne/Poisonpainter