Vor mehr als einem Jahr setzte ich Meara Finnegan einen Floh ins Ohr, oder zumindest ließ ich ihren bereits vorhandenen wachsen. Gemeinsam wollten wir den letzten Dezember nutzen, um Leuten Kurzgeschichten näher zu bringen. Leider scheiterte das an Mearas Zeitplan. Ein weiterer Versuch sollte im neuen Jahr gestartet werden, doch nun scheiterte es an meinen Plänen. Sie ließ es sich jedoch nicht nehmen und erschuf das #KGFestival, das ihr in diesem September auf ihrem und anderen teilnehmenden Blogs verfolgen konntet.
Nun habe ich die Ehre, das Festival zu abzuschließen und zwar mit einem Interview einer wahren Größe wenn es um Anthologien geht: Torsten Low, dem Kopf hinter dem Verlag Torsten Low.
2009 traf ich Torsten in Zislow auf seiner Lesereise für seine erste Anthologie Lichtbringer, bei dieser Gelegenheit entstand ein Interview, das ihr auf Literatopia finden könnt.
Seitdem ist einiges an Zeit ins Land gezogen, aber lest selbst, was sich im Hause Low alles getan hat …
1. Vor zehn Jahren sind wir uns auf deiner allerersten Lesereise persönlich begegnet. Hätte ich dir damals vorhergesagt, dass deine Anthologien regelmäßig Preise gewinnen und ein großer Bestandteil deines Verlagssortiments sind, hättest du mir geglaubt?
Hmm, ich weiß nicht. Davon geträumt hatte ich natürlich schon.
Weißt du, mein erster BuchmesseCon in Dreieich 2008 war in vielerlei Hinsicht etwas Besonderes. Auch bei der Erschaffung von Träumen. Als dann an dem Abend Oliver Plaschka seinen Preis für »Fairwater« in Empfang genommen hat, sagte ich zu meiner Frau: Nächstes Jahr ist unser »Lichtbringer« für diesen Preis nominiert. Und in zwei oder drei Jahre später gewinnen wir ihn dann!
Ich habe in den letzten Jahren sehr häufig feststellen dürfen, wie viel Kraft Träume und Wünsche haben. Und wie viele Wünsche auch wirklich in Erfüllung gehen, wenn man einfach nur für diese kämpft.
2. Seit deiner ersten Lesereise bist du auf vielen Messen und Lesungen unterwegs. Was ist für dich das Schönste und Anstrengendste an diesem Teil der Verlagsarbeit? Wie gut lässt es sich mit deiner Familie vereinbaren, dass du immer so viel auf Achse bist?
Das Anstrengendste sind die 1-4 Stunden Auto packen vor der Fahrt. Danach geht für uns alle eigentlich der Fun los. Und das Schönste ist das Treffen mit unseren AutorInnen, die gemeinsamen Essen, das gemeinsame Feiern, die gemeinsamen Lesungen, tolle Gespräche mit großartigen Menschen.
Natürlich geht so was nicht, wenn die Familie nicht mitzieht. Tina lebt genau wie ich auf Veranstaltungen und Cons. Und für Emily wurde der Begriff »Con-Kind« erfunden.
Weißt du, als Emily damals geboren wurde, sagten uns manche … hmm … Freunde oder so: »Jetzt werdet ihr endlich sesshaft!« oder »Endlich hört euer Vagabundenleben auf!« oder auch »Ihr habt jetzt Verantwortung, da müsst ihr mit euren Spielereien aufhören!«
Und Tina und ich – wir setzten uns zusammen und stellten uns die Frage: Müssen wir uns jetzt wirklich zu Hause einmauern, nur weil wir ein Kind haben? Müssen wir wirklich einfach alle unsere Träume auf den Müll werfen, nur weil wir ein Kind haben?
Ich meine, wir hatten keine tödliche Krankheit, wir hatten keine schwerwiegende Behinderung – wir hatte »nur« ein Kind.
Wir wussten, dass es nicht funktionieren würde, wenn nur einer von uns auf Veranstaltung sein würde. Der Daheimgebliebene würde es hassen und daran wäre vielleicht sogar unsere Familie zerbrochen.
Also trafen wir die Entscheidung, die bis heute gilt: Der Verlag – das sind wir drei. Und wir gehen, wann immer es passt, zu dritt auf Veranstaltungen.
Emily tourt mit uns, seit sie 2 Monate alt ist. Sie hat in ihren jungen Jahren Erfahrungen gesammelt, die viele Kinder (und selbst Erwachsene) nie sammeln können. Sie kennt Menschen in ganz Deutschland und halb Europa, ist in den Bürgerhäusern und Messehallen zu Hause und hat bei ihren Con-Besuchen ganz nebenbei eine Offenheit anderen Menschen gegenüber entwickelt, wie sie bei Kindern ihres Alters echt selten ist. Und sie liebt diese Touren, weil sie auf den Veranstaltungen auch nie zu kurz kommt. So kennt sie fast jeden Spielplatz in der Nähe jedes Congeländes, auf dem wir mal waren – und sie hat mit 8 Jahren mit Rollenspielen angefangen und mastert auch für Kinder und Erwachsene mit ihrem selbstausgedachten Spielsystem. Und vor ein paar Wochen hat sie die Kinder im Wohngebiet zu ihrer ersten Lesung aus einem Märchenbuch bei uns zu Hause eingeladen … Naja – was man halt vorgelebt bekommt.
Alles in allem – wir sind eine Con-Familie und als solche auf Veranstaltungen glücklich. Oder wie es Tom Daut mal formulierte: Wir sind die Kelly-Family der Phantastik. Und ja, darauf sind wir stolz!
3. Du gehst mit deiner Arbeit als Verleger offen um, hast u.a. für Verlorene Werke darüber geschrieben. Was war für dich das absolute Highlight deiner bisherigen Karriere und auf welche Erfahrung hättest du lieber verzichtet?
Mein persönliches Highlight ist nach wie vor die Preisverleihung für den BuCon Ehrenpreis 2017 für unsere Verdienste als Verlag um die deutschsprachige Phantastik. An dem Abend standen mir echt die Tränen der Rührung in den Augen. Und es war einer der seltenen Momente, in denen man mich mal sprachlos erleben konnte.
Tatsächlich gibt es jedoch keine Erfahrung, auf die ich verzichten möchte. Ich habe gelernt, dass auch die schlechten Erfahrungen zu was gut sind – man kann aus ihnen weitaus mehr lernen, als aus den positiven Erfahrungen. Und am Ende ist der Torsten von heute nur deshalb so, wie er ist, weil er all diese Erfahrungen – gute und weniger gute – machen durfte.
4. Gefühlt hat sich in den letzten Jahren der Buchmarkt verstärkt Anthologien zugewandt. Wie ist dein Eindruck? Würdest du jetzt den gleichen Schritt wie zur Verlagsgründung noch einmal wagen oder haben sich die Möglichkeiten zu sehr verändert um das gleiche Niveau zu erreichen, dass dein Verlag heute besitzt?
Ich bin noch nicht mal davon überzeugt, dass dem wirklich so ist. Vielmehr glaube ich, dass die heutigen Verlage sichtbarer sind, als noch vor 10, 20 Jahren. Wenn ich sehe, wie lange ich bei Libri und KNV kämpfen musste, um ins Sortiment aufgenommen zu werden und damit in Buchhandlungen als »lieferbar« gelistet zu sein und bei Amazon direkt bestellbar zu sein. Zumindest in der Beziehung haben es viele neue Verlage heute einfacher.
Wenn du meinem damaligen Ich gesagt hättest, was alles dafür nötig ist, um an dem Punkt anzukommen, wo wir heute stehen – ich glaube, mein damaliges Ich hätte abgewunken und die Sache sein lassen. Weil ich damals nicht mal ansatzweise hätte erahnen können, was uns für unsere Arbeit und unsere Zeit zurückerhalten haben (und noch immer zurückerhalten).
Man kann es niemanden erklären, der nie bei einem unserer Autorenessen dabei gewesen ist – unsere AutorInnen bringen uns eine unwahrscheinliche Liebe und ein unwahrscheinliches Vertrauen entgegen und wir erwidern dieses. Das ist unsere Familie, die wir uns selbst gewählt haben. Und von der wir damals – bei der Lesereise 2009 – noch nicht einmal ansatzweise wussten, dass wir diese Familie haben.
Deswegen würde ich heute mit dem heutigen Wissen um unsere Entwicklung den Weg jederzeit wieder beschreiten. Unabhängig von der Arbeit, unabhängig von der investierten Zeit. Einfach, weil diese – unsere – Familie all das wert ist. All das und noch viel mehr …
5. Immer mehr Selfpublisher versuchen sich an Anthologien. Was hältst du von dieser Entwicklung und siehst du sie als Konkurrenz?
Du hast vorhin das »Verlagsgeplauder« erwähnt – ich habe meine Erfahrungen und mein Wissen ja noch nie eifersüchtig gehütet wie einen Schatz. Deswegen sehe ich andere VerlegInner und andere AutorInnen auch nicht als direkte Konkurrenz an, sondern vielmehr als Kollegen, von denen jeder einzelne in seinem Gebiet auf seine ganz spezielle Weise gut ist.
Gerade deswegen finde ich Selfpublishing (jetzt nicht nur auf Anthologien bezogen) als eine großartige Möglichkeit. Aber ich sehe auch Schwierigkeiten: Nicht jeder ist für Selfpublishing gemacht und nicht jeder ist in der Lage, alle Bereiche der Verlagsarbeit selber zu stemmen. Bei manchen geht das sogar bis zur hoffnungslosen Verschuldung für den großen Traum. Das ist dann wirklich ungesund.
6. Von Einhörnern bis Chtulhu-Hommage hast du schon einige Themen abgedeckt. Welches hat dir am meisten Spaß gemacht und welches willst du unbedingt in einem zukünftigen Projekt umsetzen?
Nimm es mir nicht übel, aber diese Frage möchte ich nicht beantworten. Das ist so, als würdest du eine Mutter fragen, welches von ihren Kindern sie am liebsten hätte.
Einigen wir uns darauf: Jedes einzelne unserer Buchprojekte ist ein Herzensprojekt, wo verdammt viel Herzblut der AutorInnen, HerausgebInner und von mir drin steckt.
Und zur Zukunft kann ich leider noch nicht so viel sagen. Es ist gerade sehr, sehr viel am Entstehen, aber vieles ist doch noch … geheim 😉
Vielleicht so viel: Behaltet mal unsere neue Facebook-Fanpage mit dem ominösen Namen »TraustDuDich« im Auge …
Da ist zwar noch nicht viel zu entdecken – aber in den nächsten Tagen, Wochen, Monaten wird da so richtig der Elf abgehen.
7. Bei den »Fantastischen Sportlern« hattest du ein Wendecover, für »Geisterhafte Grotesken« gibt es Hörspielversionen, »Auf den Spuren von H.P. Lovecraft« sind Comics. Auf welche anderen Gimmicks kann man sich freuen und welche wird es weiterhin geben?
Du hast noch die Musik-Downloads in den »Metamorphosen« und den »Verbotenen Büchern« vergessen. Und bei den im Oktober erscheinenden »Geistern der Vergangenheit« machen wir mit QR-Codes herum. Lasst euch überraschen.
8. Auf der Leipziger Buchmesse 2019 hast du gemeinsam mit dem Wölfchen Verlag die Sticker-Aktion „Phantastikleser für Integration, Inklusion und Menschlichkeit“ erschaffen. Wie wichtig sind dir Beiträge zu Diversität in deinen Ausschreibungen und wie haben sich die Einreichungen dahingehend in den letzten Jahren verändert?
Der Sticker ist ja eigentlich eine Weiterentwicklung. Vorher hatten wir den Sticker, den André Wiesler entwickelt hatte: Wir bekämpfen das Böse in allen Formen – und dann ein Vampir, Cthulhu und Hitler.
Das Problem mit dem Sticker (so cool er von der Idee und Umsetzung her ist) war, dass er gegen etwas war – und es ist immer verdammt einfach, gegen etwas zu sein – aber nicht zu sagen, wofür man eigentlich ist.
Deswegen der 2. Sticker. Wölfchen und ich – wir wollten einfach bekennen, wofür wir stehen.
Für die Ausschreibungen und die Einreichungen selbst hat das keine sonderlich großen Auswirkungen. Ich denke aber, dass gerade bei den phantastischen Autoren dieses Thema grundsätzlich sehr viel stärker gewichtet ist, eben weil auch beispielsweise für manchen LeserIn der Reiz der Fantasy darin besteht, Vielfalt präsentiert zu bekommen.
9. Deine Reihe Dunkel über Daingistan war damals der Grund für die Verlagsgründung. Schaffst du es heute noch neben der Verlagsarbeit auch selbst zu schreiben?
Früher schrieb ich Romane, heute schreibe ich Verlagsverträge und Rechnungen. Und Interviews.
Naja, das ist nicht die ganze Wahrheit. Ab und an komme ich dazu, eine Kurzgeschichte zu verfassen, die dann bei einem anderen Verlag erscheint. Aber ja, ich gebe zu, meine Schreibzeit ist verdammt knapp geworden. Aber das ist nicht schlimm.
Auch wenn ich es früher nicht geglaubt hätte – quasi als »Geburtshelfer« für Herzensprojekte zu sein ist für mich genauso befriedigend – vielleicht sogar noch mehr –, wie selbst zu schreiben.
10. Spielen wir mal Orakel: Wo siehst du dich und deinen Verlag in zehn Jahren? Was hast du in der Zwischenzeit erreicht? Wird deine Tochter in deine Fußstapfen getreten sein?
Tatsächlich hat mir Emily bereits jetzt (mit 9 Jahren) ihre Hilfe im Verlag fest zugesichert – ihr werdet die Kelly-Family der Phantastik also nicht los 😉
Unser neues Label (Codename »TraustDuDich«, siehe Antwort 6), welches dann bereits seit 10 Jahren existiert, wird es geschafft haben, einen weiteren Bereich des Phantastikmarktes fest in lowsche Hände zu bringen.
Ich werde es vielleicht in 10 Jahren geschafft haben, so weit vom Verlag leben zu können, dass ich meinen Brotjob reduzieren könnte.
Ursprünglich wollt ich ja bis 2018, 2019 komplett aus dem Brotjob aussteigen. Das wäre aber nur gangbar gewesen, wenn ich auf einige Dinge verzichtet hätte, die mir wichtig sind, beispielsweise nur unter dem kompletten Verzicht auf Anthologien, den Verzicht auf deutschsprachige Autoren und den Verzicht darauf, in Deutschland zu drucken.
Diese drei Punkte sind aber meiner Meinung nach ein elementarer Bestandteil unseres Verlages. Der Verlag Torsten Low ohne Anthologien und ohne deutschsprachige Autoren wäre alles, nur nicht mehr der Verlag Torsten Low. Und dass wir eben dort drucken und Arbeitsplätze sichern, wo wir auch unsere Umsätze generieren, nämlich hier in Deutschland – das gehört für mich einfach zur unternehmerischen Verantwortung (auch wenn mancher das gerne mal ins Lustige zieht, weil wir ja vielleicht gerade mal einen drittel Arbeitsplatz in unserer Druckerei sichern). Gerade die großen Unternehmen haben viel zu oft den Art. 14, Absatz 2 des Grundgesetzes vergessen, der da sagt: Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.
Deswegen ist es mir nicht wichtig, dass ich mit dem Verlag reich wäre. Und ich möchte auch nicht um jeden Preis vom Verlag leben können. Aber vielleicht 1-2 Tage pro Woche weniger im Brotjob, die ich dann mehr für den Verlag nutzen könnte – das würde ich schon annehmen, wenn es mit meinen Grundsätzen konform geht.
Ansonsten gibt es uns in 10 Jahren seit bereits 24 Jahren, so dass wir 2029 wahrscheinlich mit der Vorbereitung einer großen Feier beschäftigt sein werden – mit einer 25-Jahre-Feier, bei der alle AutorInnen, HerausgeberInnen, LektorInnen und GrafikerInnen des Verlages eingeladen sein werden. Und von diesem Fest 2030 werden alle, die dabei gewesen sind, sagen: Das war das beste und schönste Autorenessen, das man jemals erlebt hat …
Mehr zum Verlag Torsten Low
Homepage: Verlag Torsten Low
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Vielen Dank, Torsten!
Anne