Heute widmet sich Rachel in ihrem Märchensommer Gastbeitrag einem Thema, dass, wenn es um Märchen geht, häufig verschwiegen wird. Dennoch bildet genau das die Grundlage für so viele Anwendungen in modernen Medien.
Antisemitismus in Märchen
2017 hat Eva-Maria Obermann uns schon etwas über die Mär fürs Volk erzählt, doch was ist überhaupt Folklore?
Laut Wikipedia:
Die Folklore (von englisch folk „Volk“, und lore „Überlieferung“ oder „Wissen“) ist der sichtbare Ausdruck des immateriellen kulturellen Erbes einer ethnischen oder religiösen Gemeinschaft. Sie umfasst althergebrachte Traditionen des Volkes und beruht auf generationsübergreifender Überlieferung, die in mündlicher, unter Umständen aber auch schon seit geraumer Zeit schriftlich oder bildlich fixierter Form vorliegen kann.
Folklore geht oftmals auch mit Nationalismus und dem Genre der Romantik einher. Daraus entstand im 18. Jahrhundert die Mischbewegung des romantischen Nationalismus, das als Antwort auf diverse politische Krisen. Ein gutes Beispiel ist die Französische Revolution. Religiöse Strukturen wurden massiv geschwächt, viele Technologische Fortschritte standen an einen Wendepunkt, dies in Kombination mit den politischen Ereignissen stürzte die Bevölkerung in eine tiefe Identitätskrise. Um dem entgegen zu wirken und eine neue nationale Identität aufzubauen, haben einzelne Länder Heilung in einem gemeinsamen Erbe gesucht. Kultur umfasste Sprache, Geografie, Politik und Geschichte und erlaubte dem Nationalismus Fuß zu fassen.
Romantik, deren Hauptinhalte die Liebe zur Folklore, Mystik und Erhabenheit sind, ließ sich sehr gut mit den Konzepten des Nationalismus vereinen und somit wurde die Romantik das Mittel der Wahl um Nationalismus in die Gesellschaft einzuführen. So wurden z.B. in Deutschland nach der Napoleonischen Invasion, Herder dessen Ideen zur Nationsgestaltung und die Werke der Brüder Grimm miteinander verschmolzen um so der Gesellschaft eine nationale Identität wiederzugeben.
So hatten die Nazis im 3. Reich die Geschichten der Brüder Grimm instrumentalisiert und umgeschrieben, sodass ~der Jude~ jeder einzelne Bösewicht war. ~Der Jude~ wurde die böse Stiefmutter, das Monster im Wald, der Untermensch, der von Gold besessene Kobold. So wurde z.B. Rotkäppchen zum unschuldigen deutschen Mädchen, das dem großen jüdischen Wolf zum Opfer fiel u.v.m.. So geschah es auch mit anderen Folklore Werken. Sie haben vor allem mündliche Folklore in Form von Märchen, Legenden, Witten und Sprichwörtern verwendet um „zu beweisen, dass der gesunde Menschenverstand schon lange all die negativen Eigenschaften des Juden erkannt haben.“ (Steven K. Baum, Psychologe) Antisemitismus und Folklore haben aber ein Tandem miteinander entwickelt, schon 2000 Jahre bevor Hitler überhaupt geboren wurde. Die Nazis haben hier also nicht Sachen aus dem nichts erfunden, sondern sie einfach weiter auf die Spitze getrieben.
In der Romantik wurde z.B. das Stereotyp des wandernden Juden weiter verstärkt. Dieses Stereotyp, das schon seit dem 13. Jahrhundert existiert, stellt den Juden als ein unsterbliches Wesen da, das dazu verdammt ist auf ewig in der Welt „umherzuwandern“ als Strafe fürs verhöhnen Jesu vor seiner Kreuzigung. Es wird davon ausgegangen, dass diese Legende ihren Ursprung im Johannes Evangelium hat (18:20-22) wo von einem Beamten berichtet wird, der Jesus geschlagen haben soll. Dieses Stereotyp erlebte im Deutschland des Jahres 1602 ein Revival. Er wurde auf Pamphlete gedruckt, die in der Bevölkerung große Beliebtheit fanden und antisemitische Unruhen weiter vorantrieben und wurde später von Dichtern der Romantik als sehr beliebter Trope verwendet.
Auch die Darstellung spezifischer Märchengestalten, bediente sich einer Vielzahl antisemitischer Stereotype. Wie wird die klassische Hexe in einem Märchen oder Kinderbuch portraitiert? Meistens hat sie eine lange Hakennase, ist gierig, hat einen enormen Appetit auf Kinder … Klingelt da was? Lange Hakennasen, gierig, opfert Kinder…..u get it? So wurden auch Jüdinnen*Juden dargestellt. Ritualmord an Kindern inklusive. Als die Hexenverfolgung im Mittelalter Fahrt aufnahm, fielen auch viele jüdische Menschen dem zum Opfer. Hexen wurden als Teufelsanbeter*innen angesehen und jüdische Menschen, waren der Teufel selbst. Dieser galt als enorm verführerisch, übermäßig sexuell und zudem auch den christlichen Menschen überlegen. Auch die Bezeichnungen für die Hexenversammlungen waren deutlich antisemitisch markiert. Es wurde von einem ‚Hexensabbat‘ und zuvor von ‚Hexensynagogen‘ gesprochen.
Im Endeffekt waren die Hexenverfolgungen stark davon motiviert, die „Ketzer“ zu entlarven und wir alle wissen, dass das lediglich ein Synonym für „nicht-christlich“ ist – und wer war offen nicht-christlich? Bingo! Jüdinnen*Juden!
Ich hatte ja auch einen Thread zu Antisemitismus in der Folklore und Romantik geschrieben, da findet ihr nochmal mehr Beispiele, aber der antisemitische Dreisatz:
- Lange Hakennase
- Geldgier
- Ritualmord an Kindern
bewährte sich anschließend oft, wie in Roald Dahls „Hexen Hexen„.
Die Gastautorin
Rachel, 27 Jahre aus Köln, ist jüdische Buchbloggerin & Buchtuberin, die sich desweiteren auch als Aktivistin gegen Antisemitismus und für jüdischen Leben einsetzt.
Twitter: @livenitup_de
Instagram: @livenitup_de
Anne/Poisonpainter