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Warum wir aus unserem MĂ€rchentĂŒmpel auftauchen mĂŒssen! – Teil 2

Die Grundlagen gelegt, hier nun der zweite Teil von Palandurwens MĂ€rchensommer Gastbeitrag zu den Meerjungfrauen von u.a. Hans-Christian Andersen – jetzt geht es um die Flossen!.

Das MĂ€rchensommer Banner zeigt eine Scherenschnitt-Fee, die Glitzer auf den verschnörkelten Schriftzug "MĂ€rchensommer" ĂŒber einem aufgeschlagenen Buch streut. Alles vor einer grĂŒnen Wiese neben einem Baum und Sonnenstrahlen im Hintergrund.

Tief Luft holen: Die Meerjungfrauen des 19. Jahrhunderts

Frauen wurden also lange Zeit schon als Unheilbringerinnen gezeichnet. Sie galten als verfĂŒhrerisch, was die MĂ€nner anzog, aber gleichzeitig auch in Gefahr brachte. Sie wurden mit der Natur gleichgesetzt, u. a. eben dem Wasser. Doch genau wie bei diesem Element wollte der Mensch – um genau zu sein der Mann – auch die Frau als fĂŒr ihn nutzbar gestalten, sie kontrollieren und dadurch seine Macht demonstrieren. 

Es traten also immer hĂ€ufiger ErzĂ€hlungen auf, in denen die weibliche Hauptfigur – einst frei, ungehemmt, mit eigenen Gedanken und WĂŒnschen – aus irgendwelchen GrĂŒnden erlöst oder gerettet werden musste, um eine höhere Ebene erreichen zu können. Und selbstverstĂ€ndlich konnte diese Ruhmestat nur ein Mann vollbringen.

Um diesem Narrativ Gestalt zu verleihen, wurden die Meerjungfrauen aus den Untiefen hervorgezogen. Ihnen wurde eine ErlösungsbedĂŒrftigkeit angedichtet, untermauert mit diversen religiösen Spielarten, um dem Bild eine quasi göttliche Legitimierung zu verleihen. Demnach hatten sie keine Seele, waren dadurch also verdammt. Um diesen Umstand auszurĂ€umen, gab es nur einen Weg: die Liebe eines Mannes. Diese wurde allerdings meist mit der Ehe gleichgesetzt, bei der es sich zu jener Zeit aber eher um einen wirtschaftlichen Vertrag zwischen zwei Herren (Vater und BrĂ€utigam) handelte und die Frau das zu verschachernde Gut war. Somit hatte hier nie wirklich jemand ihr Wohl im Auge. Es wurde nur eine weitere BegrĂŒndung fĂŒr die gĂ€ngigen ZustĂ€nde gesucht. 

Denken wir diesen Gedanken einmal ein StĂŒckchen weiter, könnten wir sogar so weit gehen und sagen, dass Frauen vor der Hochzeitsnacht keine Menschen waren, sondern vermeintlich nur durch die Zusammenkunft mit dem Ehemann an Wert gewannen. Die ohnehin schon stets der Weiblichkeit entgegen gebrachte Skepsis und Verachtung gipfelt hier also in zunĂ€chst einer völligen Entmenschlichung, die durch einen sexuellen Akt (die Hochzeitsnacht) erst “behoben” wird. Ein erneutes hierarchisches GefĂ€lle auf Kosten der Frau.

Genau diese Entwicklung ist in Friedrich de la Motte FouquĂ©s “Undine” zu beobachten. Zu Beginn ist sie ein ungestĂŒmes Wesen, wunderschön, mit lauter Stimme. Sie ist neugierig, sie lacht und ist manchmal auch ein wenig egoistisch. Eine von der Gesellschaft losgelöste, junge Frau. Kein Wunder, dass sie die Aufmerksamkeit des Ritter Huldbrands auf sich zieht. NatĂŒrlich gerĂ€t dieser durch ihre Schuld zunĂ€chst einmal in eine gefĂ€hrliche Situation. Dennoch wĂŒrde er sie gern zur Frau nehmen.

Gesagt, getan. Und als wĂ€re ein DĂ€mon in der Hochzeitsnacht in sie gefahren, verliert Undine in dieser all ihre vorab so reizvollen Eigenschaften. Sie wird sanft, geduldig, demĂŒtig – und still. Sie versucht sogar, ihren Mann vor ihrer Familie aus Wassergeistern zu schĂŒtzen. Doch letztendlich kommt es zum ZerwĂŒrfnis, die Wasserfrau muss zurĂŒck zu ihren Verwandten und soll, als der Ritter erneut heiraten will, diesen auf Geheiß ihres Vaters töten. Selbst jetzt versucht sie, ihn zu retten. Doch sie kann es nicht verhindern und gibt ihm in der Nacht vor seiner Hochzeit einen tödlichen Kuss. Aus Trauer darĂŒber wird sie zu einer Quelle auf seinem Grab.

Undine ist eine tragische Figur, die betrogen und gezwungen wird. Denn im Laufe der Geschichte kommt heraus, dass es eben ihr Vater war, der sie dazu getrieben hat, ĂŒberhaupt erst eine Ehe einzugehen, um eine unsterbliche Seele zu erlangen. Sie ist somit – ganz im gesellschaftlich bekannten Sinne – ein Spielball zweier MĂ€nner und wird am Ende dennoch als Unheilsbringerin stilisiert. Sie verliert alles, was sie ausmacht, alles, was sie liebt. Sie gibt sich selbst völlig auf, um zwei MĂ€nnern zu gefallen. Die Frau wird leidend, ja mĂ€rtyrerhaft dargestellt. Es erinnert an christliche Motive, in denen der fast schon dankbar erduldete Schmerz der SchlĂŒssel zum Seelenheil sei. Die Gewalt und den Zwang im Leben zu ertragen, soll somit also der Weiblichkeit erstrebenswert gemacht werden. Und mit solchen Versprechungen zementiert sich das ewige MachtgefĂ€lle weiter fest.

Eine Schippe drauf legte einige Zeit spĂ€ter Hans Christian Andersen. Auch er verfasste ein KunstmĂ€rchen, das uns allen wohl spĂ€testens seit Disneys “Arielle” bestens bekannt ist – oder etwa doch nicht? TatsĂ€chlich hat der Zeichentrickfilm kaum etwas mit dem dĂ€nischen Original zu tun.

In “Die kleine Meerjungfrau” strebt die Heldin immerhin aus eigenem Willen danach, eine unsterbliche Seele zu erringen, zusammen mit der Liebe eines jungen Prinzen. Diesen hatte sie vor dem Ertrinken gerettet, obwohl sie das nicht durfte. Ein weiteres Anzeichen einer gewissen SelbststĂ€ndigkeit. Doch die wird sie nicht lange behalten dĂŒrfen.

Um sich ihre beiden WĂŒnsche zu erfĂŒllen, nimmt sie die gefĂ€hrliche Reise zur Meerhexe auf sich. Diese braut ihr einen Trank, der ihr unter großen Schmerzen zwei Beine wachsen lĂ€sst, auf denen sie zwar nach wie vor einen fast schwebenden Gang hat, jedoch jeder Schritt ist, als trete sie in Glas. Der Preis dafĂŒr: Sie wird fĂŒr immer stumm und kann nie wieder zu ihrer Familie zurĂŒck. Wenn der Prinz sich nicht in sie verliebt, wird sie zudem zu Meerschaum werden.

Sie trifft auf den besagten Königssohn, dem sie auch gefĂ€llt. Allerdings nicht wie eine Frau und Partnerin, sondern wie ein kleines Kind. Als solches erfĂ€hrt sie mit einer SelbstverstĂ€ndlichkeit diverse DemĂŒtigungen, welche sie geduldig hinnimmt. So schlĂ€ft sie beispielsweise auf einem Kissen vor seiner TĂŒr statt in einem Bett. 

Als der Mann sich schließlich entscheidet, eine andere zu heiraten, kommen die Schwestern der Meerjungfrau ihr zur Hilfe. Sie ĂŒberreichen ihr einen magischen Dolch. Wenn sie den Prinzen mit diesem ersticht, wĂ€chst ihr Fischschwanz wieder und sie darf zurĂŒck nach Hause. Doch sie kann es nicht, wirft das Messer ins Meer und springt hinterher. Statt zu Meerschaum wird sie durch diese selbstlose Tat allerdings zu einer Tochter des Windes und kann, wenn sie weiter Gutes bewirkt, doch noch irgendwann eine unsterbliche Seele erlangen.

Klingt tragisch-schön? In der Tat. Allerdings zeichnet der ErzĂ€hler auch hier wieder ein Frauenbild, welches hochgradig toxisch ist. Um dem Mann zu gefallen, darf sie nicht sprechen, muss Schmerzen und DemĂŒtigung erdulden und kann nur durch ihren Körper seine Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Und trotz all des Leides wĂ€hlt sie am Ende den Freitod, die totale Selbstaufgabe, um ihn zu schĂŒtzen. Aber selbst dadurch erhĂ€lt sie keine wirkliche Belohnung, sondern muss sich weiterhin beweisen, um ihr Ziel zu erreichen. Das MachtverhĂ€ltnis bleibt also sogar nach ihrem Tod bestehen. 

Andersens Meerjungfrau spiegelt die damalige kleinbĂŒrgerliche Geschlechtermoral somit sehr deutlich wider. Die Frau wird einerseits als aufopferndes Wesen, andererseits als unschuldig-naiv gezeichnet. Die kleine Meerjungfrau ist zwar liebreizend und versucht zu gefallen. Sie nimmt auch alles Leid als Lebensinhalt fĂŒr das höhere Ziel in Kauf. Aber wenn der Mann es nicht will, erreicht sie dieses nie. Die AbhĂ€ngigkeitsverhĂ€ltnisse zwischen den Geschlechtern werden hier beeindruckend erkenntlich.

Man reiche mir ein Handtuch: das Fazit 

WĂ€hrend Frauen in den tradierten ErzĂ€hlungen, Sagen, Mythen und MĂ€rchen immer entweder gruselig und mĂ€chtig oder aber liebreizend und hilflos waren, zeigen die KunstmĂ€rchen uns eine andere Art der Weiblichkeit. Sie ist anfangs facettenreicher, doch es wird auch eindeutig kommuniziert, dass das unerwĂŒnscht ist. Die angedachte Rolle der Frau ist klar abgesteckt. Erst, wenn sie dem Wunsch des Mannes entspricht, kann sie GlĂŒck erfahren. Und selbst dann nur so lange, wie es ihm gefĂ€llt. Ihm wird jegliche Dominanz zugesprochen und diese mit einer scheinbaren AllgemeingĂŒltigkeit, weil es ja auch im echten Leben so ist, legitimiert. 

Niemand hinterfragt diese Darstellung. Keinem fĂ€llt daran etwas auf. Es wird als gegeben betrachtet. Der Deckmantel der Romanze darĂŒber ausgebreitet. Doch der kann kaum den wahren Kern der Sache verbergen. Wir mĂŒssen uns nur trauen, hinzuschauen. Uns der Erkenntnis stellen, dass unsere MĂ€rchen in diesem Punkt Wunden reißen – seit Generationen. Und wir mĂŒssen uns darin einig werden, diese endlich zu schließen. Indem wir das Bewusstsein dafĂŒr schĂŒren und die richtigen Fragen stellen. Indem wir das Wissen annehmen und daraus lernen. Und indem wir damit wunderschöne neue MĂ€rchen entstehen lassen, die die Welt so zeigen, wie sie hoffentlich eines Tages auch wirklich ist.

Die Gastautorin

Palandurwen macht im echten Leben fĂŒr andere etwas mit Wörtern. DafĂŒr muss sie nicht einmal ihr malerisch im Elbtal, direkt an einem Weinberg gelegenes Zuhause verlassen. So kann sie sich rund um die Uhr von ihrer Katze herumkommandieren lassen, ob sie arbeitet oder in ihrem Atelier malt und scrapbookt. MĂ€rchen haben sie schon seit frĂŒhester Kindheit fasziniert und inspiriert. Doch spĂ€testens durch ihr Germanistik-Studium scheut sie sich nicht mehr, diese auch kritisch zu hinterfragen, immer mit dem Ziel, irgendwann ein eigenes verfassen zu können.

Instagram: @palandurwen
Twitch: palandurwen

Anne/PoiSonPaiNter