Vor gut anderthalb Jahren, habe ich mich am Unknown-Kickstarter beteiligt, der ein fĂŒr mich sehr faszinierendes Konzept hatte: Anhand der Schreibweise gilt es zu erkennen, ob ein Text von einem Mann, einer Frau oder einer nicht-binĂ€ren Person geschrieben wurde.
Da ich selbst schon des Ăfteren aufgrund meiner Chatweise fĂŒr einen Mann gehalten wurde, wollte ich herausfinden, ob ich es bei fremden Texten „besser“ einschĂ€tzen könnte.
Lesegewohnheiten
Eine Vielzahl von Menschen ist durch die ĂŒberwiegend mĂ€nnliche Buchbranche geprĂ€gt. Besonders im Fantasy-Bereich bezeichnen sich einige Herren als die Meister der Phantastik, wĂ€hrend alle anderen unter den Teppich gekehrt werden. Wobei weiĂe cis Frauen noch mehr Möglichkeiten offen stehen, als zum Beispiel trans Frauen oder nicht-binĂ€ren Personen. Genau darĂŒber entstand diesen Monat auch eine Diskussion auf Twitter: Das eigene Leseverhalten sollte umgestellt werden. Nicht nur auf mehr Frauen, sondern auch auf mehr DiversitĂ€t.
Eine sehr wichtige und wunderbare Idee, die uns gesellschaftlich nur voranbringen kann, allerdings stellt uns das auch vor Herausforderungen bezĂŒglich der AufklĂ€rungsarbeit, denn fĂŒr viele, die noch in den alten Strukturen festhĂ€ngen, ist der Sprung zu groĂ.
GeprĂ€gt von cis mĂ€nnlicher Schreibe kennen die meisten Personen die Feinheiten des menschlichen Daseins noch gar nicht – oder nur Vorurteilbelastet aus unzĂ€hligen schlechten Witzen und Verballhornungen. FĂŒr diese ist es schon eine gewaltige Umstellung neue Leseerfahrungen mit Autorinnen zu sammeln. Existieren dieser erst einmal, dann wĂ€chst schnell aus den gewonnenen Erkenntnissen das BedĂŒrfnis abwechslungsreicher zu lesen. Challenges und entsprechende Aufrufe zu diverserem Lesen sind daher wichtiger denn je.
Mein eigenes Leseverhalten sah in etwa so aus:
- Cover sieht interessant aus
- Blick auf den Namen, ob er mir bekannt vorkommt oder mir noch unbekannt ist
- Klappentext lesen, ob er nicht meine Buzzwords enthÀlt, die mich direkt das Buch wieder hinlegen lassen
- wenn alle Kriterien stimmen, mit nach Hause nehmen
Bei diesem Verhalten mag ich behaupten, dass ich tatsĂ€chlich nicht darauf geachtet habe, welches Geschlecht ich mit dem abgedruckten Namen assoziiere. Dennoch sind mehr mĂ€nnliche Autoren ĂŒber den regulĂ€ren Handel in mein Regal gewandert, da diese noch immer vermehrt ausgestellt werden.
Nun, da ich mich ĂŒber meine Arbeit im Nornennetz vermehrt mit Frauen in der Literatur, Kleinverlagen und Selfpublishern befasse, fĂ€llt es mir schwer zu sagen, wann ich das letzte Mal (vom #BĂŒcherhamstern im vergangenen MĂ€rz und Comics/Manga abgesehen) ein Werk eines cis Mannes bewusst gekauft habe. Stattdessen sind meine Regale nun voll mit – soweit ich weiĂ – weiblichen Autorinnen. Und ich bin mir sicher, da wird es nicht enden und bald schon werden sich die Werke von nicht-binĂ€ren oder trans Schreibenden zu ihnen gesellen.
Mit dem Wunsch nach mehr diversem Lesen sehe ich allerdings auch einen kritischen Punkt, denn, um eine Person als nicht cis zu erkennen, muss diese sich outen. Nicht jede:r Autor:in ist bereits öffentlich als das Geschlecht bekannt, als dass sie sich privat identifizieren. Entsprechend ist es verletzend, wenn sie dennoch aufgrund der Namensassoziation z.B. in Listen fĂŒr Autorinnen aufgenommen werden, obwohl sie sich nicht als Frau sehen. Doch Ottonormal-Lesenden fehlt teils das VerstĂ€ndnis und das Wissen in Bezug auf DiversitĂ€t und die damit einhergehenden Problematiken. Daher ist es noch ein weiter Weg diese WissenslĂŒcke zu schlieĂen. Doch wenn es uns gelingt, dann erhöhen wir den Busfaktor der Thematik, womit wir wiederum die Leute entlasten, die sich momentan den Mund fusselig reden.
Kleiner Einschub: Was ist der Busfaktor?
Busfaktor bezeichnet die Anzahl Menschen, die von einem Bus ĂŒberfahren werden mĂŒssten, um notwendiges Wissen vollstĂ€ndig zu verlieren.
Das Prinzip wird meist in der Projektplanung verwendet, aber ich finde es hier auch sehr passend, da jede Person ihr eigenes Wissen mit an den DiversitĂ€ts-Tisch bringt und je mehr davon gehört haben, umso gröĂer wird der Busfaktor fĂŒr dieses individuelle, spezielle Wissen.
Und ja, ich schlieĂe mich da mit ein.
Denn wenn privilegierte Personen ihre Privilegien nutzen, um andere mit auf ihre Stufe zu ziehen, anstatt sie weiter nach unten zu treten, können wir vielleicht irgendwann eine wahre Gleichberechtigung erreichen. Momentan noch eine groĂe Utopie, aber ohne WĂŒnsche fĂŒr die Zukunft wĂ€ren wir vermutlich noch nicht mal bis hierher gekommen.
Es wird vermehrt eingefordert, dass Teilnehmer in komplett cis mĂ€nnlichen Panels durch Frauen von gleichem Wissensstand ausgetauscht werden. Doch bevor bewusster wird, dass da „noch mehr“ (als cis Frauen) sind, wird es an dieser Stelle nicht weitergehen. Und das ist der Punkt, der fĂŒr so viele Leute, so frustrierend ist. Es ist eine berechtigte Forderung, dass dieses Austauschen nicht nur auf (weiĂe) cis Frauen erfolgt und auch Platz fĂŒr trans oder nicht-binĂ€re oder oder oder Personen gemacht wird. Oft jedoch geschieht dies auf Kosten der teilnehmenden cis Frauen, wodurch wir wieder eine Verschiebung der VerhĂ€ltnisse haben, die so niemand von uns wĂŒnscht. Im Sinne einer intersektionalen Betrachtung sollten solche Panel und Diskussionen definitiv diverser werden und in speziellen FĂ€llen vor allem von denjenigen gefĂŒhrt werden, die es tatsĂ€chlich betrifft. Eine marginalisierte Gruppe mit einer anderen zu ersetzen, anstatt beide zu Wort kommen zu lassen, ist allerdings keine schöne Lösung fĂŒr das eigentliche Problem, dass den meisten cis MĂ€nnern alle Möglichkeiten mit Schleifchen ĂŒbergeben werden, die wir uns hart erkĂ€mpfen mĂŒssen.
Ja, (weiĂe) cis Frauen haben Privilegien, die trans Frauen, nicht-binĂ€re Personen usw. verwehrt bleiben, wenn sie sich nicht konstanter Missgenderung oder Schlimmerem stellen wollen. Trotzdem finde ich es schwer nachzuvollziehen, dass cis Frauen schon jetzt Beiseite treten sollen, wenn sie selbst noch nicht nahezu genug und nur mit wackeligen Beinen ihren Status erreicht haben. Andere mit hochziehen, wenn man selbst keinen festen Stand hat ist nicht nur beim Bergsteigen unratsam. Wir sollten in all unseren BemĂŒhungen um Gleichberechtigung nicht vergessen, dass jede Gruppe ihre eigenen, individuellen PĂ€ckchen zu tragen hat. Es ist daher durchaus legitim hin und wieder auch mal nur die eigenen Ziele im Fokus zu haben und Forderungen nur fĂŒr sich zu stellen. Da darf ein Beitrag mal nur cis Frauen betreffen, genauso wie sie an anderer Stelle lediglich ReichweiteverstĂ€rker der Stimmen anderer Marginalisierter sein sollten. Wir sollten uns stets vor Augen fĂŒhren, dass wir auf der gleichen Seite stehen und trotzdem nicht die PĂ€ckchen von allen gleichzeitig tragen mĂŒssen. Wir wollen eine bessere, bunte Zukunft, in der IndividualitĂ€t so geachtet wird, wie sie ist.
Einen Austausch und Hinweise auf MissstĂ€nde ist legitim, wichtig und hilfreich, um das Bewusstsein dafĂŒr zu stĂ€rken, sozusagen den Busfaktor zu erhöhen. Ich bin dankbar fĂŒr jede ErklĂ€rung zu Dingen, die mich nicht betreffen und gebe sie gerne weiter an Leute, die davon noch nichts gehört haben. Weise darauf hin, dass eine Formulierung nicht inklusiv ist – gerade erst in einer PrĂ€sentationsschulung gemacht, die „Geschlecht“ fĂŒr einen wichtigen Punkt befand in den die Zielgruppe eingeordnet werden sollte – und bemĂŒhe mich selbst darum nicht ausgrenzend zu schreiben. Und das hört bei GeschlechteridentitĂ€ten nicht auf. Behinderungen, Glaubensrichtung, Hautfarbe, Sexuelle Orientierung. Das alles sind Punkte, die auch heute – trotz Gesetze – noch zu Diskriminierungen und schlimmeren Dingen fĂŒhren (können). Die ebenso wichtig sind anzusprechen und mit zu behandeln. Niemand sollte unter dem Teppich leben mĂŒssen.
Doch, lasst uns nach dieser Abschweifung zurĂŒck zu den Unknown-Geschichten kommen.
Schreibverhalten
Zur Erinnerung, die PrÀmisse des Projekts ist:
Kann man wirklich nur anhand des Schreibstils erkennen, ob die schreibende Person mÀnnlich, weiblich oder nicht-binÀr ist?
Mein momentaner Stand nach 10/12 Geschichten ist: Jein.
Doch woran kann man ĂŒberhaupt festmachen, als was sich die schreibende Person identifiziert?
Die beiden Herausgeberinnen Sonja RĂŒther und Hanka Leo haben fĂŒr die Auswertungen Fragebögen bereitgestellt. Da diese öffentlich zugĂ€nglich – wenn auch nicht abschickbar ohne Kennziffer – sind, ist es denke ich kein groĂes Problem, wenn ich ein bisschen daraus verrate. Und ja, sie haben auch die Inklusion der Geschlechter beschrĂ€nkt, daher bildet das Projekt nur einen Bruchteil dessen ab, was im Literaturbetrieb vorhanden ist. Allerdings ist eine fokussierte Untersuchung fĂŒr die generelle Beantwortung der These schon einmal ein guter Anfang, um der breiten Masse das eigentliche Problem (Vorurteile gegenĂŒber Schreibenden aufgrund des mit dem Namen assoziiertem Geschlechts) vor Augen zu fĂŒhren.
Eine der Fragen bezieht sich darauf, ob der Stil der Geschichte eher sanft oder hart ist. Was fĂŒr mich bereits die erste Verwirrung ist. Was macht einen sanften/harten Stil aus? Mit sanftem Stil verbinde ich romantische Geschichte, davon ist mir bisher noch nichts begegnet.
Ein Punkt, an dem ich es stattdessen versuche festmache, ist wie detailreich die Beschreibung ist. Aus meiner von frĂŒher noch mĂ€nnlichen PrĂ€gung und den frischen neuen Sachen von Autorinnen, hat sich momentan folgendes Bild festgesetzt:
| eher mÀnnlich | eher weiblich |
|---|---|
| – Kaum/keine inneren Gedanken – Umfangreiche Umgebungsbeschreibung – Klischeebehaftete ErzĂ€hlungen | – Innere Gedankenwelt wird thematisiert – Fortschrittlichere und sensitivere Behandlung von Themen |
Ich weiĂ, dass es auch genau umgekehrt sein kann und sowieso und ĂŒberhaupt, aber bei den meisten Werken, die ich in den letzten Jahren gelesen habe, traf es recht gut zu. Die wenigen nicht-binĂ€ren Schreibenden, von denen ich bisher etwas lesen konnte/durfte, fallen zum Beispiel auch in beide Bereiche – auch wenn es noch zu wenige sind, als dass ich eine eigene Spalte fĂŒr sie befĂŒllen könnte, da werde ich mich noch verbessern mĂŒssen. AuĂerdem begegnet mir diese meine innere Einteilung auch eher in den Endfassungen. In Rohfassungen sind nicht-cis-MĂ€nner genauso gut darin, Motivationen und innere Gedanken im entsprechenden POV wegzulassen und die Lesenden vor vollendete Tatsachen zu stellen.
Bei einigen der Unknown-Geschichten war es jedoch weniger der Stil und mehr der Umgang mit dem entsprechenden Thema, der mich eine Zuordnung vermuten lĂ€sst. Es fĂŒhlt sich einfach eher nach einer Frau an, wenn Prostitution nicht als ein Witz oder Schockmoment verwendet, sondern ernst und zu gewissem Grad (soweit ich das als AuĂenstehende einschĂ€tzen kann) realistisch dargestellt wird. Und im Gegensatz sehr mĂ€nnlich, wenn zwei Typis mit Joint-Obsession einer Astronautin dabei zugucken, wie sie ein schwarzes Loch-Dingens gebĂ€rt von dem sie anschlieĂend aufgefressen wird und alles woran einer von ihnen denkt ist, wie er ein Date damit beeindrucken kann indem er in der Situation hilft … aber vielleicht denke auch nur ich so und andere Lesende schĂ€tzen es komplett anders ein?
Es ist auf alle FĂ€lle nicht leicht eine Entscheidung zu treffen, vor allem, da sich Stile sehr schnell vermischen und vermutlich liege ich bei mehreren, wenn nicht sogar allen, Geschichten auch komplett daneben. Ich bin auf die Auswertung ab kommenden Monat gespannt und finde es klasse, das dieses Projekt auf die Beine gestellt wurde. Vielleicht wird es ja eines Tages eine Fortsetzung mit Geschichten von trans oder inter* Schreibenden oder mit Fokus auf andere Marginalisierungen wie Hautfarbe und Behinderungen, geben, um noch mehr zu beweisen, dass es nicht darauf ankommt, wer eine Geschichte geschrieben hat, solange Lesende daran SpaĂ haben.
Denn Schreibe kann so unterschiedlich und doch gleich sein. Es flieĂt viel vom eigenen Selbst ein, was die Trennung Werk und Autor:in ja so schwer macht. Es andersherum zu betrachten, also das Werk zu lesen ohne den Namen der schreibenden Person zu kennen, um diese RĂŒckschlĂŒsse zu ziehen ist ein faszinierender Prozess.
Da wird einem erst einmal bewusst, wie sehr wir gewisse Vorurteile doch verinnerlicht haben und wie viel wir noch dafĂŒr tun mĂŒssen, um bunter, diverser zu schreiben und zu konsumieren.
Also, an die Arbeit mit uns!
Anne
