Sand der Zeit

Seit Tagen irrte ich durch die Wüste.
Nichts als Sand umgab mich.
Soweit ich sehen konnte ein Meer aus Körnern.
Mein Wasservorrat neigte sich stetig dem Ende zu, hatte ich doch viel zu wenig mitgenommen.
Meine Kleidung war an einigen Stellen zerrissen und bot mir kaum noch Schutz gegen die brennende Sonne.
Meine Beine wollten sich kaum noch bewegen, bleierne Schwere hatte sich auf sie gelegt.
Meine Schritte wurden immer schwerfälliger.
Aber ich musste vorwärts, musste weiter.
Ich konnte jetzt nicht aufgeben.
Nicht nach Allem was geschehen war…
Mehrere Tage hatte er mich bereits verfolgt.
Überall wo ich hinkam war er bereits.
Er wehte über die asphaltierten Straßen.
Er flog in kleinen Wolken durch meine Wohnung.
Er rieselte mir entgegen, wenn ich in einem Buch las, ja wenn ich bloß meine Schuhe oder Kleider anzog oder mir durch die Haare fuhr.
Ich fühlte mich verfolgt.
Verfolgt von Sand.
Dennoch konnte ich mir nicht erklären woher der Sand – der Wüstensand – kam.
Die Stadt war umgeben von grünenden Wäldern und fließenden Gewässern.
Die nächste Wüste befand sich weit entfernt, auf einem anderen Kontinent.
Langsam aber sicher glaubte ich, verrückt zu werden.
Niemand außer mir sah ihn.
Doch dabei blieb es nicht…
Wie immer ging ich durch die laute Stadt.
Die immerwährende Hektik umgab mich.
Autos rauschend an mir vorbei.
Menschen eilten durch die Straßen.
Doch ich kümmerte mich nicht um sie.
Ging meinen Weg ohne sie zu beachten.
Wich aus, wenn es notwendig war.
Bewegte mich wie eine Puppe, die an unsichtbaren Fäden geleitet wurde.
Vorbei an bekannten Geschäften, Gesichtern und Gebäuden.
Doch dann sah ich etwas Neues.
Ein riesiger schwarzer Hund kam auf einmal aus einer der Seitengassen.
Die Menschen auf dem Gehweg schenkten ihm keine Beachtung, gingen einfach an ihm vorbei.
Nur ich konnte mich ihm nicht entziehen, stand in seinem Bann.
Instinktiv wusste ich, dass auch er zum Sand gehörte.
Ging er anfangs noch auf allen Vieren, richtete er sich plötzlich auf.
Sein Fell wich sonnen gebräunter, menschlicher Haut, goldenen Roben und Schmuck, der seine Hand – und Fußgelenke, sowie seinen Hals umgab.
Lediglich sein Gesicht blieb die Maske eines spitzschnäuzigen Hundes.
Unverwandt starrte ich ihn an, als sein Gesicht sich mir zu wandte.
Vor Schreck erstarrt, gelang es mir nur schwer einen klaren Gedanken zu fassen. In meinem Gedächtnis suchte ich ein Bild, dass zu diesem merkwürdigen Wesen passte.
Nach einer gefühlten Ewigkeit hatte ich es gefunden: Anubis, der ägyptische Totengott.
Er beugte sich immer tiefer zu mir hinab und sah mich dabei durchdringend an.
Die Welt um mich herum schien still zu stehen.
Es gab nur noch mich und den Gott.
Während wir uns anstarrten durchströmte mich eine Flut von Bildern.
Bilder einer alten Wüstenstadt, die seit Jahrtausenden vom Sand verschlungen war.
Ich sah die Tempelanlagen, die kulturellen und materiellen Schätze, die dort vergraben lagen.
Ich sah den Ort und verstand: Ich war auserwählt ihn zu finden.
Gerade als der Gott mir den Namen des Ortes nennen wollte, spürte ich einen Stoß in die Seite.
Die Welt um mich herum war wieder zum Leben erwacht und der Gott verschwunden.
Mich umsehend wusste ich nicht ob ich mir selbst noch glauben konnte.
Einige Tage vergingen an denen mich kein Sand verfolgte.
Selbst wenn ich ihn erwartete war er nicht da.
Es war als hätte das merkwürdige Treffen nie statt gefunden.
Dennoch wollte es mir nicht aus dem Kopf gehen.
Sollte ich nach diesem Ort suchen oder war es nur eine Halluzination gewesen?
Als nach einer Woche noch immer nichts geschehen war entschied ich mich es auf den Stress, den ich in den vergangenen Monaten erlitten hatte, zu schieben.
Um auf andere Gedanken zu kommen nahm ich ein paar Tage Urlaub.
Auf der Suche nach passender Lektüre für einen ruhigen Abend stattete ich der Bibliothek einen Besuch ab. Durch die Reihen schlendernd fiel mir ein Buch wortwörtlich vor die Füße. Der Mitarbeiter, der gerade das Regal neu sortierte, hatte es herunter geworfen.
Als er sich entschuldigte würdigte ich ihn keines Blickes, da meine Aufmerksamkeit den Seiten vor mir galt.
Sie zeigten Bilder einer alten ägyptischen Stadt.
Vorsichtig, als hätte ich Angst, dass es wieder verschwinden würde, hob ich das Buch auf.
Je mehr ich las, desto größer wurde der Schauer, der mir über den Rücken lief.
Auf den aufgeschlagenen Seiten wurde ein Mythos über eine versunkene Stadt beschrieben. Der Stadt, die Anubis mir gezeigt hatte.
Es war keine Wahnvorstellung, es war eine Bestimmung.
Diesem Tag in der Bibliothek folgten viele schlaflose Nächte, die ich mit der Studie von allen mir zur Verfügung stehenden Quellen verbrachte. Als ich eine Theorie und einen Plan entwickelt hatte, fing eine neue Suche an. Die Suche nach jemandem der mir glaubte.
Schneller als ich es erwartete fand ich Unterstützer.
Es wurde mir ermöglicht ein Team zusammen zu stellen, das diese Expedition mit mir durchführen würde.
Die Aussicht auf einen Fund wie diesen, hatte mir die Arbeit erleichtert.
Es war als würde sich alles von alleine ergeben. Wie durch eine göttliche Fügung.
Indem ich meinen Urlaub ausweitete, startete ich in das größte Abenteuer meines Lebens.
Alles lief besser als ich es mir erhofft hatte.
Zu gut, wie sich bald herausstellte.
Angekommen in Ägypten lief alles schief, was auch nur schief laufen konnte.
Schnell breitete sich Unmut im Team aus. Alle Orte, die wir als mögliche Fundstellen herausgesucht hatten erwiesen sich als falsch.
Viele der Helfer brachen die Suche nach nur kurzer Zeit ab.
Waren sie doch der Hitze und der Sinnlosigkeit unserer Aufgabe überdrüssig.
Die Letzten gingen vor einigen Tagen und ließen mich allein zurück.
Ich wollte nicht aufgeben, konnte nicht aufgeben.
Es war meine Bestimmung diesen Tempel zu finden.
Deshalb ging ich noch immer.
Und je weiter ich vorankam desto weniger wusste ich wo ich war.
Meine schweren Beine ließen mich immer langsamer vorwärts kommen, bis es aussah, als ob ich mich überhaupt nicht mehr bewegte.
Ich bemerkte warum, als ich an mir herunter sah.
Ich steckte bis zu den Knien im Sand. Im Treibsand.
Ich wusste, dass ich mich nicht alleine aus dieser Lage befreien konnte, ergab mich meinem Schicksal.
Ich begriff, dass ich in dieser Wüste mein Ende finden würde.
Alles war umsonst gewesen.
All meine Mühen.
Alles um allein in der Wüste zu verenden.
Verzweiflung und Resignation stiegen in mir auf.
Ich wusste nicht welchem Gefühl ich nachgeben sollte.
Als ich hüfttief im Sand versunken war, packte mich noch ein letztes Mal mein Lebenswille.
Ich versuchte mich zu befreien, schrie meinen Frust in die leere Wüste hinaus und schlug auf den Sand ein. Erschöpft sank ich in mich zusammen und lies mich vom Sand verschlucken.
Dem Sand, der mich erst hierher gebrachte hatte.
Meine Augen schließend wartete ich auf den Tod. Wartete darauf, dass Anubis mich aus meinem sandigen Grab holen würde.
Er hatte mich wie ein Lamm zur Schlachtbank geführt.
Er wollte das ich hier starb, dessen war ich mir sicher.
Den Gott verfluchend wartete ich.
Mittlerweile war ich vollkommen vom Sand umfasst, durch die dicht aneinanderliegenden Körner drang kaum noch Luft.
Dem Ende nahe, spürte ich wie mein Körper immer schwerer wurde und nach unten gezogen wurde. Er fühlte sich taub an. Alles fühlte sich taub an und so lies ich es geschehen. Ich hatte aufgehört zu denken. Hatte keine Kraft mehr mich zu wehren.
Der Druck des Sandes veränderte sich. Wurde erst größer und nahm dann allmählich wieder ab.
Bis ich mit einem dumpfen Laut auf hartem Boden aufschlug.
Keuchend und hustend versuchte ich Luft in meine verstaubten Lungen zu bekommen, während um mich herum der Sand immer weiter hinunter rieselte.
Als meine Atmung sich beruhigt hatte öffnete ich die Augen, um mich in einem halbdunklen Raum wieder zu finden. Langsam setze ich mich auf und sah mich um.
Ich war angekommen.
Dies war der Tempel den ich gesucht hatte, zu dem ich geführt wurde.
Ich hatte es geschafft.
Wie er war ich im Sand der Zeit versunken und eines Tages würde es wieder einen Menschen wie mich geben, der sich nach diesem architektonischen Wunder auf die Suche machen würde.
Doch bis dahin hatte ich den Rest meines Lebens um es zu erkunden.
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