Nach einer langen Reise durch die Katakomben der Unterwelt hatten es vier ihrer Bewohner geschafft. Sie waren an der Erdoberfläche angelangt. Ein Ort, der in ihrer Heimat als Verboten galt. Der Mond stand hoch am Himmel und leuchtete auf sie herab. Für Wesen, die nahezu Finsternis gewohnt waren, brannte die helle Scheibe regelrecht in ihren Augen. Nur langsam gewöhnten sich diese an die unbekannte Helligkeit. Der junge Werwolf Fenrir erlangte als Erster sein Sehvermögen zurück.
„Oh man, dass ist überhaupt kein Vergleich zu daheim! Da steh’n überall so komische dicke Streichhölzer mit Büscheln oben drauf und kleine Büschel steh’n am Boden und der Boden ist mit stachligem Fell bedeckt!“, erklärte er fasziniert seinen noch immer blinden Begleitern.
„Und dann dieser Geruch…großartig…“, verträumt ließ er sich auf den Rücken ins Gras fallen und atmete die frische Waldluft in großen Zügen ein.
Nun begann sich auch die Sicht der anderen zu klären und sie schauten sich ebenso die fremde Welt an. Kurz blickte Tricia auf den mit geschlossenen Augen daliegenden Werwolf hinab, dann drehte sich die Vampirin um und betrachtete das Weltentor durch das sie gegangen waren. Es befanden sich am Fuße eines gigantischen Baumes, dessen Krone über den Wolken hing und somit nicht erkennbar war.
„Das ist also Arbor Fantastica …“, murmelte sie ehrfurchtsvoll.
„Arb-was?“, fragte Fenrir und setzte sich auf.
„ Arbor Fantastica. Der Weltenbaum. Er ist die Verbindung zwischen Unterwelt, Erde und Himmel. Er ist uralt und aus ihm soll alles Leben entstanden sein.“, erklärte Brokkrder Obolosch Ginnr, der großwüchsige Zwerg, der von seinen Freunden nur Bogie genannt wurde.
Ehrfürchtig blickte er die mächtige Esche an.
„Sag bloß, du kennst die Legende nicht?“, witzelte Zane.
Der Dämon hatte selten ein freundliches Wort für den Wolfsjungen übrig. Eher im Gegenteil: er konnte ihn nicht ausstehen.
„Doch…aber ich wusste den Namen nicht mehr….“, gab Fenrir widerwillig zu.
„Übrigens: Die Streichhölzer sind auch Bäume!“, machte sich Zane erneut über den Werwolf lustig.
„Genug jetzt! Lasst uns weitergehen! Ihr habt den Torwächter gehört, wir sollen nur nachts reisen und das scheint es ja gerade zu sein.“, bestimmte Tricia und löste ihren Blick vom Weltenbaum.
Tatsächlich waren sie auf ihrer Reise zwei Torwächtern begegnet, die ihnen Hinweise zu dieser fremden Welt gegeben hatten. Tag und Nacht ist ihnen beschrieben worden. Von Wesen, die hier lebten, wurde ihnen erzählt. Wesen, die sich „Menschen“ nannten und vor denen sie sich in Acht nehmen sollten, da sie nicht gut auf fremde Dinge zu sprechen waren.
Nach kurzem Zögern setzten die Vier ihren Weg fort um die Erdoberfläche zu erkunden.
„Was ist das?“, fragte Trica und deutete auf ein langohriges Etwas.
„Egal was es ist, es riecht verdammt lecker!“, stellte Fenrir fest, ließ sich auf die Hände sinken und leckte sich erwartungsvoll über die Lippen.
Tief sog er den Duft des fremden Wesens ein und wechselte in nur wenigen Augenblicken seine Gestalt. Wo eben noch ein Junge kniete, stand nun ein junger Wolf, dem das Wasser im Maul zusammen lief. Nach einem kurzen Blickkontakt zwischen Beute und Jäger rannte der Hase fort und der junge Werwolf hinterher.
„Fenrir! Bleib hier!“, rief Tricia ihm hinterher, aber er war schon im Gestrüpp verschwunden.
„Lass ihn. Der Trottel kommt schon von allein wieder…“, warf Zane ein.
„Er scheint sich hier wohl zu fühlen..“, vermutete Bogie.
Zustimmend nickten die anderen beide. Fenrir schien regelrecht in dieser Umgebung aufzugehen. Einer Umgebung die weiträumiger als die Gänge und Städte der Unterwelt war und zudem noch voll von unbekannten und verlockenden Düften.
„Wieso probierst du nicht aus, wie es ist, hier zu fliegen?“, wollte Tricia von Zane wissen.
„Wieso sollte ich?“, erwiderte dieser kühl.
„Weil ich dich mal in einem grenzenlosen Raum fliegen sehen möchte! Bitte Zane!“
Tricia legte ihre Hände an seine Schulter und blickte bettelnd zu ihm hinauf. Da war er wieder. Der Blick dem Zane nichts abschlagen konnte. Mit einem gemurmelte „Ja ist ja gut…“ wand er sich ab und breitete seine Flügel aus, die für gewöhnlich eng und unbemerkt an seinem Körper anlagen. Mit einem kräftigen Schlag erhob er sich einige Meter in die Lüfte um dort beinahe zu schweben. Zane sah sich um und entschied die ungewohnte Freiheit auszukosten. Die Luft strömte an seinem Körper entlang. Er fühlte sich frei. Frei von allem was ihn einengte. Mauern. Regeln. Stolz. Hier waren nur er und die scheinbar endlose Weite. Er sah seine Freunde immer kleiner werden, umso höher er aufstieg. Wie Ameisen wirkten sie. Auch die Bäume und Sträucher waren lediglich Punkte. In ein paar Kilometern Entfernung entdeckte er ein Haus. Er flog hinab, um seinen Begleitern davon zu erzählen. Gemeinsam berieten sie, was sie tun sollten. Schließlich entschieden sie sich, nachzusehen, wie „Menschen“ lebten.
Bogie, Tricia und Zane standen vor einem Zaun und betrachteten das Gebäude das er umfasste.
„Das Haus sieht nicht viel anders aus, als die bei uns…“, stellte die Vampirin fest, als ein kleiner Schatten auf sie zugerannt kam.
Kurz blickten sich die Vier gegenseitig an, als das Wesen auch schon anfing die Fremden anzubellen. Erschrocken wichen die drei Unterwelter einen Schritt zurück.
„Das ist also ein Hund…“, kam eine Stimme von hinten, die wiederum für einen Schrecken sorgte.
„Fenrir!“, fuhr ihn Tricia an, die es nicht mochte erschreckt zu werden.
Der Werwolf ignorierte sie und blickte dem Hund direkt in die Augen. Das Knurren und Bellen verstummte allmählich und wurde zu einem kläglichen Wimmern bis der Hund schließlich mit eingezogener Rute jaulend davon lief.
„Ich bin beeindruckt Fiffi“, zog Zane Fenrir auf.
Als er ihm auf die Schulter klopfte erntete Zane einen finsteren Blick aus den bernsteinfarbenen Augen des Werwolfs und hörte daraufhin sogleich auf. Einen Werwolf kurz nach der Jagd zu reizen, war nicht sonderlich klug.
Die Treppe, die zur Eingangstür des Hauses führte wurde mit einem Mal hell erleuchtet und wieder mussten die Vier sich die Hände schützend vor die Augen legen. Aus der Tür trat ein Mann, der bei genauerem hinsehen einen recht finsteren Eindruck machte.
„Wer ist da und was wollt ihr?“, rief eine wütende Stimme zu ihnen herüber.
Die Unterweltler schauten erst den Menschen und dann sich an. Sie wussten nicht recht was sie nun antworten sollten. Zum einen wurde ihnen gesagt, sie sollen sich von den Menschen fernhalten. Zum anderen war ihre Neugierde doch größer, als ihre Angst.
„W-wir sind Reisende u-und suchen einen Ort zum Schlafen“, improvisierte Tricia kurzerhand.
„Verschwindet, wenn euch euer Leben lieb ist!“, um seiner Drohung Nachdruck zu verleihen, feuerte er die Flinte in die Luft ab, mit der er eben noch auf die Vier gezielt hatte.
Stillschweigend entschieden sie sich der Aufforderung nachzukommen und machten sich auf den Rückzug. Schließlich fanden die Vier im Wald ein paar Büsche, die sie als Schlafquartier nutzen konnten. Nicht unbedingt komfortabel, aber zweckmäßig. Unter ihnen befanden sich leichte Kuhlen in die sie sich legten. Um es der Vampirin bequemer zu machen, wechselte Fenrir erneut die Gestalt und schmiegte sich an sie, wobei er sie mit seiner flauschigen Rute zudeckte. Zane zog es vor sich in einen der hohen Bäume zu setzen, um dort zu schlafen.
Die Sonne stand noch nicht sehr hoch am Himmel als die Brüder Stanley und Kyle den Waldweg betraten, an dessen Rand es sich die vier Unterweltler gemütlich gemacht hatten. Die beiden Jungen waren in ein Gespräch vertieft als Kyle, der jüngere der beiden, auf einen vermeintlichen Ast trat. Ein schmerzerfülltes Jaulen durchbrach die morgendliche Stille. Mit einem kräftigen Ruck zog Fenrir seine Rute unter dem Fuß des Kindes hervor. Dieses wurde dadurch zurückgestoßen und landete unsanft auf dem Hosenboden. Ängstlich betrachtete er den nun sprechenden Busch.
„Ah verdammt irgendwas ist mir auf die Rute getreten!“, jammerte der junge Werwolf, der mittlerweile eine Form zwischen Wolf und Mensch angenommen hatte.
Mit schmerzverzerrtem Gesicht hielt er seine, vom Tritt pochende, Rute in den Armen.
„Fenrir sei still!“, zischte Bogie unter einem anderen Busch hervor.
„Die Menschen stehen immer noch da!“
„Hör auf dich so breit zu machen!“, murrte Tricia und versuchte den wehklagenden Werwolf zur Seite zu schieben, wurde allerdings selbst ins Licht gedrängt.
Kyle zitterte indes wie Espenlaub als ein Körper allmählich unter dem Busch hervor kam. Sein Bruder begriff nicht was gerade geschah und stand einfach nur wie angewurzelt da. In diesem Moment sprang Zane vom Baum herunter, von dem er zuvor die Situation beobachtet hatte. Mit einem lauten „Wah!“ fiel nun auch Stanley Rücklinks zu Boden. Das plötzliche Erscheinen eines schwarzhäutigen Jungen mit roten Augen war selbst für ihn zu viel. Hätte er genauer hingesehen und die feinen Schuppen auf Zanes Haut erkannt, wäre er vermutlich ohnmächtig geworden. Tricia und Bogie hatten es indes geschafft sich gänzlich aus dem Gestrüpp zu befreien und kämpften nun mit dem Sonnenlicht, dass ihnen erneut die Sicht nahm und ihnen Tränen in die Augen trieb.
„Warum muss diese Welt so verdammt hell sein?“, brummte Fenrir, als auch er den Kopf unter dem Busch hervor streckte.
Die Brüder standen unter Schock aufgrund der seltsamen Truppe, die da vor ihnen zum Vorschein kam. Alle trugen sie einfach gehaltene, schwarze Kleidung. Der dunkelhäutige ähnelte keinem der ihnen bekannten Afrikanern. Das Schwarz seiner Haut war um einiges dunkler, so als wäre er mit tiefschwarzer Farbe angemalt. Mit seinen feuerroten Augen hätte er durchaus der Hölle selbst entsprungen sein können. Wie nah diese Theorie der Wahrheit kam, wussten die beiden Jungen zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Das Mädchen mit schwarzem Haar, aber nahezu weißer Haut wirkte so kalt, wie ihre eisblauen Augen. Der zweite Junge hatte einen seltsamen Körperbau, wie ein langezogener Kleinwüchsiger. Zudem hatte er eine große Knollennase und bräunliche Haut. Der Kerl, der gerade aus dem Gebüsch gekrochen war, hätte recht normal ausgesehen, würde er nicht eine lange buschige Rute in krallenbesetzen Händen halten und mit bernsteinfarbenen Augen auf sie herab blicken.
„Wer von euch war das?“, fragte Fenrir die beiden Jungs wütend, wurde aber nur weiter ungläubig angestarrt.
„Bi-bi-bist du ein W-w-werwolf?“, fragte Kyle vorsichtig.
„Natürlich…“, erwiderte Fenrir mit hochgezogener Augenbraue, nun leicht hysterisch.
„W-w-wow“, war alles was der kleine Junge sagen konnte.
Die Unterweltler kamen einen Schritt näher, als Stanley seine Stimme wieder fand.
„W-was wollt ihr Freaks von uns?“, stammelte er.
„Freaks?“, fragte Tricia skeptisch und kniete sich vor Kyle nieder.
„Hast du dir weh getan?“, wollte sie von ihm wissen und hielt ihm die Hand hin um ihm aufzuhelfen.
„W-wie…ä-äh nein, a-alles in Ordnung.“, erwiderte der kleine Junge, zögerte aber die Hand anzunehmen.
„Kyle, bleib weg von denen! Die sind doch auf Drogen!“, befahl Stanley seinem jüngeren Bruder.
So langsam reichte es Zane. Drohend baute er sich vor Stanley auf.
„Jetzt hör mir mal gut zu, Menschenwurm. Wir sind weder Freaks, noch auf Drogen und wenn du uns noch einmal beleidigst, wirst du dein blaues Wunder erleben!“, erklärte er mit einem finsteren Blick.
Erschrocken starrte Stanley in die feuerroten Augen hinauf, die ihn durchdringend ansahen. Er hatte Angst. Panische Angst. Der einzige Gedanke, den er in diesem Moment hatte war ‚Weg hier‘ und diesem versuchte er so schnell wie möglich nachzugehen. Auf Händen und Füßen kroch er rückwärts von den Fremden weg. Nachdem er mit dem Rücken gegen einen Baum traf, drehte er sich auf die Knie um. Erst kroch er auf diese Weise noch ein Stück voran bevor er sich auf die Beine erhob und davon rannte. Die anderen konnten nur da stehen und zusehen.
„Stan!“, rief Kyle seinem Bruder ängstlich hinterher.
„B-b-bitte tut mir nichts!“, flehte der kleine Junge und hielt sich die Arme schützend vor den Kopf.
Die Vier schauten auf das Menschenkind hinab.
„Warum sollten wir?“, fragte Fenrir und setzte sich im Schneidersitz hin.
„Außer natürlich, du warst Derjenige, der mir auf die Rute getreten ist.“, stellte er fies grinsend fest.
Noch ängstlicher starrte er den Werwolf nun an.
„Tu-tu-tut mir Leid! Da-das hab ich nicht gewollt!“, wimmerte er mit gesenktem Kopf.
„Keine Angst, er wird dir nichts tun. Fenrir übertreibt manchmal ein bisschen!“, tröstete Tricia ihn und näherte sich dem Jungen, um ihm einen Arm um die Schulter zu legen.
Dieser rückte ein Stück zur Seite, damit Tricia ihm nicht zu nahe kam.
„Wieso regst du dich eigentlich so auf? Schließlich warst du es doch, der seine Rute einfach so mitten auf den Weg gelegt hat. Das da jemand drauf tritt ist dann ja kein Wunder…“
Zane blickte gelangweilt und mit Händen in den Hosentaschen auf die anderen hinab.
„Pff…na und…tat trotzdem weh…“, jammerte Fenrir und strich vorsichtig über seine Rute.
„Er hat sich doch entschuldigt, jetzt ist doch auch mal wieder gut!“, versuchte Tricia die Situation zu beruhigen.
Verwundert sah Kyle den Werwolf an.
„Ä-ähm…bi-bist du…der F-F-Fenrir aus der Legende?“, fragte er dann unsicher nach kurzem Zögern.
„Welche Legende?“, wollte dieser wissen.
„D-die Legende vom Fenriswolf. D-der Wolf, der gefangen gehalten wird bis zum Weltuntergang und sich dann befreien soll, um den obersten Gott Odin zu töten, der ihn eingesperrt hatte.“, erklärte Kyle, woraufhin Zane in lautes Lachen ausbrach.
„Der und einen Gott töten? Das ich nicht lache…“, machte er sich darüber lustig.
Nachdem Fenrir den Jungen verwundert angeschaut hatte, knurrte er nun den Dämonen an, der erneut einen Witz auf seine Kosten gemacht hatte.
„Also bist du das nicht…“, murmelte Kyle leicht niedergeschlagen.
„Nö…davon wüsste ich was…denk ich…und von ’nem Odin hab ich noch nie was gehört…“, erklärte Fenrir während er sich verlegen am Hinterkopf kratzte.
„Außerdem ist Fenrir ein gebräuchlicher Name bei uns in der Unterwelt.“, ergänzte Tricia.
„Unterwelt? Also gibt es eine Welt unter unserer? Aber warum stoßen Forscher dann auf unterschiedliche Gesteinsschichten, wenn sie in der Erde graben. Liegt sie so weit unten?“
„Nein. Die Unterwelt liegt in einer anderen Existenzebene. Sie wird durch einen speziellen Zauber umgeben. Nur durch die Tore im Stamme des Weltenbaumes Arbor Fantasticas ist ein Überwechseln in eine andere Welt möglich.“, erklärte Bogie trocken.
„Echt?“, erkundigte sich Fenrir.
„Ja. Davon hat mein Vater mir erzählt, als wir uns über den Weg berieten.“, bestätigte der Zwerg.
Bogies Familie war am Bau der unterirdischen Katakomben, die sie ihr zu Hause nannten, beteiligt, daher hatten sie auch Pläne der Gänge und Städte in ihrem Besitz. Als sein Vater davon erfuhr, was die Vier vor hatten, war er vollauf begeistert und sofort bereit gewesen, seinem Sohn in die Geheimnisse der Ginnrs einzuweihen.
„ Arbor Fantastica? Weltenbaum? Ein Baum, der Himmel, Erde und Unterwelt miteinander verbindet? So eine Legende haben wir hier auch, nur heißt der Baum dort Yggdrasil.“, stellte Kyle fest.
„Ihr habt auch eine Weltenbaum-Legende hier oben?“, fragte Tricia verwundert.
„Ja. Sie stammt aus der gleichen Mythologie, wie die Geschichte vom Fenriswolf.“, erklärte der Menschenjunge und um das Thema zu wechseln, fügte er neugierig hinzu: „Äh…Was seid ihr eigentlich genau?“
„Das Fenrir ein Werwolf ist, weißt du ja schon. Er hat eine sehr gute Nase und kann zwischen drei Formen seine Gestalt wechseln: Wolf, Humanoid und so wie er gerade aussieht. Bogie ist ein Zwerg. Er ist der Größte seiner Art, aber trotzdem genau wie seine Artgenossen fantastisch in handwerklichen Dingen. Zane hier ist ein fliegender Dämon. Seine Flügel liegen meistens eng an seinem Körper an, aber er kann sie auch ausbreiten und damit fliegen. Dass hat er vorhin gemacht, sah wirklich beeindruckend aus.“, schwärmte Tricia ohne zu zögern von ihren Freunden.
„Tricia du redest zu viel…“, brummte Zane und erntete dafür einen schmerzvollen Hieb gegen sein Schienbein.
„Und meine Wenigkeit ist ein Vampir. Blut trinken, Hypnose und die Verwandlung in eine Fledermaus gehören zu meinen Spezialitäten.“, stellte sie sich selbst stolz vor.
„Ein Vampir? Dann stimmt, dass Gerücht also nicht, dass ihr bei Kontakt mit Sonnenlicht zu Staub zerfallt…“, grübelte Kyle, nachdem er die vier Unterweltler eine Weile fasziniert angestarrt hatte.
„Warum sollte ich?“, fragte Tricia nach.
„Das wird hier über Vampire erzählt. Es heißt auch sie würden kein Knoblauch und Weihwasser vertragen, Kreuze verabscheuen und nur mit einem Holzpflock durchs Herz getötet werden können. Genauso wie es wahrscheinlich Unsinn ist, dass Werwölfe nur mit Silberkugeln verletzt oder getötet werden können, oder?“, wollte Kyle lieber noch auf Nummer sicher gehen, ob es auch wirklich nicht der Wahrheit entsprach, was er da sagte.
„Kompletter Blödsinn!“, nickte Fenrir zustimmend.
„Gut…dann noch eine Frage…habt ihr so etwas wie einen Herrscher in der Unterwelt? Weil hier bei uns erzählt man sich davon, dass es einen Teufel namens Satan gibt, der die Hölle regiert. Also die Unterwelt wird hier auch als Hölle bezeichnet.“
Der junge Werwolf musste kurz auflachen.
„Die Unterwelt ist viel zu groß und verzweigt als das ein einziger Mann über all das herrschen könnte! Die einzelnen Städte wissen nicht mal voneinander was sie tun!“, erzählte er dann.
„Jede Stadt in der Unterwelt hat eine Herrscherfamilie, die dafür sorgt, dass es innerhalb der Grenzen keinen Ärger gibt. In unserer Heimatstadt ist das zum Beispiel Zanes Familie seit Generationen.“, fuhr Tricia fort und deutete auf den mit verschränkten Armen dastehenden Dämonen.
Nachdem sie eine Weile dem Menschenjungen Rede und Antwort gestanden hatten, war es an den Unterweltlern, alle nur erdenklichen Fragen über die Menschen und wie sie lebten, über die Welt in der sie hausten und andere Dinge, die ihnen gerade einfielen, zu stellen. Die Fünf verstanden sich gut. Sie hätten den ganzen Tag dort auf dem Waldboden sitzen bleiben können. Wären nicht urplötzlich Rufe laut geworden, die sie aus ihrem Gespräch rissen. Rufe, die nichts Gutes verhießen. Rufe, die alles andere als freundlich, wenn auch besorgt klangen. Aufmerksam drehten sich die Fünf in die Richtung, aus der die Rufe kamen. Es raschelte in den Büschen, die sie umgaben, als Menschen sich einen Weg durch sie hindurch bahnten. Menschen mit Waffen. Geladenen Gewehren, deren Läufe auf die Unterweltler gerichtet waren.
„Was macht ihr da mit meinem Sohn?“, donnerte die Stimme eines der Männer.
Keiner von ihnen konnte etwas sagen. Sie erinnerten sich noch genau an den Schuss vom vorigen Abend. Sehr gut konnten sie sich vorstellen, wie schmerzhaft es sein würde, eine Ladung aus diesen langen Rohren abzubekommen.
„P-papa“, stammelte Kyle.
„Geht weg von meinem Sohn!“, schrie er erneut.
Verwundert starrten sie den Mann an. Sie wussten nicht wirklich, was sie nun tun sollten. Sie verspürten nicht unbedingt Angst, aber es war dennoch ein unangenehmes Gefühl, auf diese Weise bedroht zu werden. Gegen Stichwaffen hätten sie sich gerade so noch wehren können, aber gegen die Kugeln konnten sie nichts ausrichten. Zane schaute abschätzig auf das Gewehr, dass auf ihn gerichtet war, hinab.
„Nehmen Sie die Dinger da weg.“, befahl er arrogant.
Verdutzt starrte Kyles Vater nun seinerseits zurück. Er hatte nicht mit so einer Reaktion gerechnet. Hektisch schüttelte er seinen Kopf, um seine Verwunderung abzuschütteln.
„Was fällt dir ein? Du…du…“, vergeblich versuchte er die Erscheinung des Jungen in passende Worte zu fassen.
„Monster?“, half ihm Zane weiter und breitete seine Flügel aus.
Er liebte es einfach zu sehr anderen Angst einzujagen und dieser Mensch fürchtete sich gerade so sehr vor ihm, dass er vor Schreck sein Gewehr fallen ließ und beinahe schreiend davon gerannt wäre. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er den jungen Dämonen an. Auch den anderen Männer, die mit ihm gekommen waren, stand das Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Die Waffen in ihren Händen zitterten gefährlich. Es war nur eine Frage der Zeit bis sich ein Schuss aus ihnen lösen wurde.
„Das reicht!“, rief Tricia empört.
Schnell stellte sie sich mit weit ausgebreiteten Armen zwischen Zane und Kyles Vater. Sie hatte keine Lust, dass die ganze Situation eskalierte.
„Beruhigt euch! Alle! Sofort!“, befahl sie schroff, dann drehte sie sich zu ihrem Begleiter um.
„Wir sind hergekommen, um mehr über diese Welt zu erfahren, nicht um uns ihre Bewohner zu Feinden zu machen und hör auf dich so aufzuspielen!“, fuhr die Vampirin ihn an und betonte jedes ihrer Worte indem sie ihm mit dem Finger auf die Brust piekte.
Verdattert sah er sie an. Nur Tricia konnte es sich wagen so mit ihm zu sprechen. Dann schlug er ihre Hand beiseite.
„Tz…als ob ich angefangen hätte…“, entgegnete er kühl.
Dennoch zog er seine Flügel ein und drehte sich beleidigt ein Stück zur Seite. Die Männer, die sie umzingelt hatten, schauten nicht minder verdutzt als die anderen beiden Unterweltler und Kyle. Niemand von ihnen, war auf so etwas vorbereitet gewesen. Als sich die energische junge Frau umdrehte, wichen alle unweigerlich einen Schritt zurück. Dieses Verhalten zwang ein Grinsen auf die Lippen der Unterweltbewohner.
„Wir haben Kyle nichts getan und wir hatten auch nie vor ihm etwas anzutun, also legt eure Waffen nieder. Wir haben nicht vor euch anzugreifen!“, erklärte sie ruhig.
Die Männer schienen nicht wirklich zu verstehen, was sie von ihnen wollte. Sie starrten sich nur gegenseitig ungläubig an. Schließlich nahm Kyle all seinen Mut zusammen, stand auf und sprach:
„Tricia hat Recht! Die Vier haben mir nichts getan! Wir haben nur hier gesessen und uns unterhalten! Bitte tut ihnen nichts! Sie sind Freunde! Wirklich!“, flehte er sie an.
Langsam wand sein Vater seinen Blick von Zane ab und richtete ihn auf seinen Sohn. Er ging zu ihm hin, kniete sich vor ihn nieder und packte ihn an den Schulter.
„Was haben diese Monster dir angetan, dass du so redest?“, wollte er wissen, als er seinen Sohn durchschüttelte.
„Nichts, dass habe ich doch gerade gesagt!“, protestierte Kyle und versuchte sich aus dem Griff seines Vaters zu befreien.
„Lassen sie ihn los!“, befahl Fenrir, der sich nun etwas weiter aufgerichtet hatte und mit seiner Hand den einen Arm des fremden Mannes festhielt.
Kyles Vater schaute dem Werwolf tief in die Augen. Der Ausdruck in ihnen sprach Bände. So schnell er konnte entfernte er sich ein Stück von seinem Sohn. Einen kurzen Moment legte sich eine bedrückende Stille über alle Versammelten, bis Tricia sie brach.
„Hören Sie uns jetzt endlich zu oder müssen wir erst Gewalt anwenden?“, wollte sie mit einem herausfordernden Grinsen wissen.
Wieder wurde sie nur angestarrt, dann nickte Kyles Vater unmerklich.
„Ja wir werden zuhören…“, bestätigte er dann und ordnete seinen Männern, an die Waffen zu senken.
Erneut erklärte Tricia die Situation. Sie erzählte auch von der Reise, die sie bis jetzt hinter sich hatten. Dieses Mal schienen sie ihr wirklich zuzuhören. Dieses Mal schienen sie sogar zu verstehen. Dieses Mal schien ihre Angst zu schrumpfen und ihre Neugierde zu wachsen. Neugierde auf all das, was ihnen diese fremden Wesen noch erzählen würden. Als die Vampirin ihren Vortrag beendet hatte herrschte wieder Stille. Diesmal wurde sie von Kyle durchbrochen, als er unsicher seinem Vater eine Frage stellte.
„Können wir ihnen nicht helfen unsere Welt besser kennen zu lernen?“
Noch immer gebannt von der Erzählung schaute er seinen Sohn fragend an, dann musterte er die vier Unterweltler. Er dachte über die Frage seines Sohnes nach. Er senkte den Kopf.
„Ich denke, das sollten wir tun…“, entschied er mit einem Lächeln auf den Lippen.
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