Adventskalender: Türchen #12

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Familienessen

Als sie wieder im Haupthaus angekommen waren, machte Nicholas für sie beide eine heiße Tasse Kakao mit der sie sich an den großen Esstisch setzten. Katrin verarbeitete noch immer das Erlebte, also überließ er sie ihren Gedanken.
“In den alten Bräuchen heißt es immer der Krampus bestraft die unartigen Kinder, so wie Knecht Ruprecht, nur etwas brutaler, aber du sagst er tötet, wenn er nicht eingesperrt ist…wie kann der Brauch denn so falsch sein?”, dachte Katrin laut nach.
“Es gibt auch Versionen in denen er die unartigen Kinder frisst…”, erinnerte Nicholas sie. “Ich kann dir nur sagen, was unser Großvater uns über den Krampus erzählt hat. Bevor er eingesperrt wurde hat er im Dorf gewütet und mehrere Arbeiter getötet. Grundlos.”
“Vielleicht waren sie unartig…”, mutmaßte Katrin.
Nicholas schnaubte. “Vielleicht…”
Betreten schwiegen die beiden. Während sie ihren Kakao trank, dessen Wärme ihr viel intensiver vorkam als sonst, ließ Katrin ihren Blick über den großen Raum schweifen und entdeckte eine Anrichte mit Fotos. Sie stellte die leere Tasse ab und ging hinüber. Alles war besser als weiter über das Monster im Eisblock nachzudenken. Viele kleine und größere Bilderrahmen standen auf dem niedrigen Schrank. Sie erkannte Nicole und Nicholas, sowie deren Mutter und Schwägerin. Der Mann an Claudias Seite, auf einem der Bilder, musste demnach Klaus sein, der Nicholas wesentlich ähnlicher sah, als der Blondschopf auf einem anderen Foto.
“Möchtest du Namen zu den Gesichtern, bevor du sie nachher in Person triffst?”, bot Nicholas an, als er sich neben sie stellte.
“Ich- du stellst mich ihnen vor?”, fragte Katrin erstaunt.
“Ich konnte sie überreden, dass zumindest dein Abschiedsessen mit allen stattfindet”, erklärte Nicholas.
“Abschiedsessen? Das heißt, das war’s schon?”, hakte Katrin traurig nach.
“Wir sind nur ein kleines Dorf, so viel gibt es hier nicht zu entdecken”, begründete Nicholas mit einem Schulterzucken, aber auch bei ihm hörte sie Enttäuschung mitklingen.
“Das ist schade. Es ist wirklich magisch hier.” Katrin merkte, wie ihr Herz wieder zu flattern anfing, als Nicholas ihr ein aufrichtiges Lächeln schenkte.
“Freut mich, dass es dir gefallen hat.”
“Sehr, aber ich muss ehrlich sein: Die Schlittenfahrt war das Beste. Und die Bibliothek”, offenbarte sie ihm begeistert, woraufhin er erneut lachte. “Aber ja, ein Crashkurs in Sachen Familie Santa Namen wäre bestimmt hilfreich.” Auf Nicholas skeptischen Blick hin, schlug sie sich die Hand vor den Kopf. “Familie Maros, natürlich, tut mir Leid, das ist noch so drin…”
“Schon in Ordnung, immerhin hast du es dir überhaupt gemerkt”, neckte er sie.
“Ich bin Kindergärtnerin, mein Lieber, ich muss mir jede Menge Namen merken, teilweise sehr merkwürdige Namen, also unterschätz‘ mich nicht!”, hielt sie ihm trotzig entgegen und stemmte die Hände in die Hüften.
Nicholas grinste. “Na gut, dann schauen wir mal, wie gut du dir das merken kannst.” Er zeigte auf das Bild eines älteren Mannes, auf dessen Schoß zwei Jungs unruhig saßen. “Das ist mein Großvater Nikolaus und meine Neffen Tyler und Steven.”
“Die Söhne von Claudia und Klaus”, ergänzte Katrin und zeigte auf das Foto der beiden.
“Genau”, bestätigte Nicholas beeindruckt. “Wie wäre es wenn du weitermachst?”
“Gut. Das ist deine Mutter Natascha und dein Vater Nikolai”, begann Katrin und zeigte auf ein Bild von den beiden mit ihren Enkelkindern. “Das ist deine Schwester Nicole und das müsste dein Bruder Nick sein”, fuhr sie fort und zeigte auf ein Foto der beiden.
“Richtig”, bestätigte Nicholas erneut, noch beeindruckter als zuvor, “wirklich gut. Du solltest für das Abendessen gewappnet sein.”
“Dann bin ich ja beruhigt”, versuchte Katrin ihre Angst zu überspielen. Sie war alles andere als ruhig und hatte schon jetzt etwas Panik davor die Familie Maros kennenzulernen.
“Das wird schon.” Nicholas strich ihr aufmunternd über den Arm und Katrin konnte das Lächeln nicht unterdrücken.

“Darf ich noch ein bisschen durchs Dorf schlendern bis zum Abendessen?”, bat Katrin, als er sie wieder losgelassen hatte.
“Ich darf dich leider nicht alleine gehen lassen, aber ich begleite dich gern.”
“Danke.”
Auf Katrins Wunsch gingen sie noch einmal zu den Rentieren, die heute auf der Wiese hinter den Stallungen grasten. Besonders die Kleinen hatten es Katrin angetan. Sie tollten miteinander und es war einfach wunderbar anzusehen.
“Danke, dass du mich hierher eingeladen hast”, war alles was Katrin dazu sagen konnte, während sie weiterhin die Kälber beobachtete.
“Gern”, erwiderte Nicholas mit einem leichten Lächeln. “Ich werd mal den Trog auffüllen”, wechselte er das Thema und ging in den Stall zurück.
Katrin lehnte sich einfach weiter auf das hölzerne Gatter und beobachtete die Rentiere.

Als es Abend wurde und sie noch einmal eine Runde durchs Dorf gedreht hatten, brachte Nicholas sie ins Esszimmer, das bereits von Bratenduft aus der anliegenden Küche erfüllt war. Nicholas’ Großvater saß am Kopfende des Tisches, Nicole stellte Teller an die verschiedenen Plätze, während ihr Vater das Gleiche mit dem Besteck tat. Als Nicholas und Katrin den Raum betraten hielten sie inne. Nicole lächelte den beiden breit zu, während Nikolaus Katrin misstrauisch anstarrte. Nikolai kam ihr entgegen und reichte ihr die freie Hand.
“Schön Sie kennenzulernen, Katrin”, begrüßte er sie, auch wenn es nicht komplett aufrichtig klang.
“Gleichfalls, Herr Maros, es ist mir eine Ehre hier sein zu dürfen”, erwiderte sie mit einem Lächeln und meinte jedes Wort.
“Du hast ihr sogar unseren Nachnamen verraten, Brüderchen”, kommentierte Nicole grinsend.
Nicholas erwiderte darauf nichts und sah lediglich zur Seite, sein Großvater schnaubte verächtlich.
“Setzen Sie sich, Katrin”, forderte Nikolai sie auf und fuhr dann an seinen Sohn gewandt fort: “Hilf bitte deiner Mutter mit den Klößen.”
“Natürlich, Far.” Nicholas nickte und verschwand durch eine Nebentür.
Katrin setzte sich. Ihr war unbehaglich zumute, aber vermutlich wollte Nicholas’ Familie sich einfach nur eine eigene Meinung von ihr bilden.
“Wie hat Ihnen Ihr kleiner Aufenthalt in Joulky gefallen?”, fragte Nikolai sogleich.
“Es ist wirklich magisch hier”, antwortete sie wahrheitsgetreu, “es waren ein paar wunderbare Tage. Vielen Dank, dass ich das alles hier sehen durfte!”
“Durfte…”, schnaubte Nikolaus, “Der Bengel hat uns einfach vor vollendete Tatsachen gestellt, indem er dich hergebracht hat.”
“Far! Bitte!”, ermahnte Nikolai seinen Vater.
“Nun nimm’ ihn nicht auch noch in Schutz! Nicholas hat sich das selbst zuzuschreiben! Erst offenbart er sich einer Außenseiterin und dann bringt er sie eigenmächtig einfach her! Ich hab doch gesagt, er ist noch nicht soweit den Schlitten zu fliegen!”, fuhr der Alte unbekümmert fort.
Katrin fühlte sich von Wort zu Wort schlechter. Kein Wunder, dass niemand gut auf sie zu sprechen war, wenn das Oberhaupt der Familie so über sie dachte. Dennoch konnte sie das nicht einfach hinnehmen. “Nicholas ist ein guter Pilot und es ist nicht seine Schuld, dass der Schlitten gestreikt hat!”
“Ach, jetzt kennst du dich mit Schlitten aus?!”, fuhr Nikolaus sie an.
“Nein, aber selbst ich erkenne einen verstopften Auspuff, wenn er neben meinem Fenster knallt”, antwortete sie so ruhig sie konnte.
“Der Auspuff war verstopft?”, mischte sich nun Nicole ein.
“Ja, es gab einen furchtbar lauten Knall und als ich aus dem Fenster gesehen habe, stand da der Schlitten mit einer Rußspur hinter dem Auspuff. Kurz danach hat Nicholas mich bemerkt und mich um eine Ofenbürste gebeten. Damit hat er den Schlitten wieder fahrtüchtig gemacht”, erklärte Katrin.
“Einfallsreich, hätte ich meinem kleinen Bruder gar nicht zugetraut…”, kommentierte Nicole.
Nikolaus schnaubte nur erneut, sagte aber nichts weiter, da sich die Tür öffnete und Klaus mit den Kindern hereinkam, die Katrin stürmisch begrüßten und sie sogar als Nicholas’ Freundin bezeichneten. Sie kam gar nicht dazu zu widersprechen, geschweige denn die Röte zu verhindern, die ihr ins Gesicht stieg. Kurz darauf kamen auch schon Claudia, Nicholas und seine Mutter mit den Speisen, die sie gleichmäßig auf dem Tisch verteilten. Als alle bereits um den Tisch saßen wurde die Esszimmertür schwungvoll geöffnet und der letzte Maros nutzte die Gelegenheit für einen entsprechenden Auftritt. Wie ein Wirbelwind umrundete er den Tisch, begrüßte seine Familie und nahm seinen angestammten Platz, nicht ohne vorher Katrin von allen Seiten zu begutachten.
“Kein schlechter Geschmack, Brüderchen”, kommentierte er, als er sich hinsetzte und erneut stieg den beiden die Röte ins Gesicht.
“Darum geht es doch gar nicht…”, brummte Nicholas und sah zur Seite.
“Genug davon, Nick! Lasst uns essen, bevor es kalt wird!”, bestimmte Natascha und sogleich griffen die Jüngsten nach der Schüssel mit den Klößen.

Das Essen schmeckte köstlich und die Unterhaltung blieb locker und offen. Nicholas’ Großvater ließ keine weiteren Spitzen von sich hören und schwieg den Rest des abends. Nur Nicole und Nick stichelten hin und wieder darüber, wie gut sich Katrin und Nicholas mittlerweile kannten. Ihre Mutter wollte lediglich wissen, was Nicholas Katrin gezeigt hatte und wie es ihr gefallen hatte.

Als schließlich alle satt waren, brachte Klaus seine Kinder ins Bett und Nicole ging in die Küche und kam kurz danach mit einer Kanne voll Grog und einem Tonkrug für jeden wieder. Nach dem ersten Grog zog sich Nikolaus zurück, nicht ohne Katrin noch einen letzten finsteren Blick zuzuwerfen, und auch Natascha und Nikolai ließen die jüngere Generation bald unter sich. Kurz darauf lockerte sich die Stimmung merkbar. Nicholas’ Geschwister erzählten mehr über ihre Fähigkeiten und gaben sogar eine kleine Vorstellung. Nicole ließ ein paar Flocken im Esszimmer schneien und Nick sandte einen kleinen Wirbelwind über den Fußboden. Da Klaus’ Fähigkeit darin bestand einen Blizzard heraufzubeschwören, beließ er es bei einer Erklärung und der Anekdote, dass er schon einmal den Fußboden reparieren musste, als er seine Kräfte noch nicht kontrollieren konnte. Katrin fühlte sich wohl in der Runde und es machte ihr Spaß den Geschichten zu lauschen. Endlich schienen sie sich für sie zu erwärmen und das an ihrem letzten Tag. Ein wenig Trauer mischte sich in ihre Freude, aber sie versuchte es sich nicht anmerken zu lassen.

Sobald der letzte Tropfen Grog alle war löste sich die Runde auf, am nächsten Tag würde es wieder viel zu tun geben. Nicholas brachte sie auf ihr Zimmer und für einen Augenblick standen sie einfach nur da und sahen einander ratlos an.
“Das war ein schöner Abend”, bemerkte Katrin endlich.
“Ja, das lief besser als erwartet”, gab Nicholas zu und strich sich unsicher über den Hinterkopf.
Vielleicht war es der Grog, vielleicht war es sein verlorener Blick, aber irgendetwas ließ Katrin Nicholas umarmen. Sie drückte ihr Gesicht gegen seine Brust, höher reichte sie ihm nicht, und ihre Arme um seine Hüfte. Im ersten Moment rührte er sich nicht, dann legte auch er seine Arme um sie und hielt sie einfach nur fest. “Deine Familie unterschätzt dich”, offenbarte sie ihm, ohne loszulassen und ohne ihm von den ausfallenden Worten seines Großvaters erzählen zu wollen.
Nicholas zuckte nur mit den Schultern. “Ich bin halt nicht so wie meine Geschwister.”
“Das verlangt doch auch keiner. Du bist du und so bist du genau richtig”, erwiderte Katrin und löste sich etwas, um ihm ins Gesicht sehen zu können.
Ein kleines Lächeln schlich sich auf seine Lippen.
“Gute Nacht, Nicholas”, schloss sie und ließ ihn los, aber nicht ohne ihm ein letztes Mal aufmunternd über den Arm zu streichen.
“Gute Nacht, Katrin”, entgegnete er und sie sah, dass er nicht wusste, wie er jetzt reagieren sollte. Auch sie war sich nicht sicher, was das Richtige war und bevor sie etwas Falsches taten, beschloss sie einfach in ihr Zimmer zu gehen. Noch einmal winkte sie ihm, bevor sie die Tür hinter sich schloss.

Behind the Scenes

Und da ist die ganze Bande mal an einem Ort. Einige der Szenen haben sich erst beim Schreiben ergeben, aber es machte das Ganze etwas runder. In der ursprünglichen Ausarbeitung der Geschichte in meinem Kopf endete der Abend auch etwas anders – und Katrin hätte ein Ali- Moment, das wäre ja ein Spoiler! 😀 Hab mich dann aber doch für diese Variante entschieden bevor ich die Notizen aufgeschrieben habe, auch wenn ich mir immer noch nicht sicher bin, ob ich meine eigenen Charaktere da wirklich richtig hab interagieren lassen … Meinungen? 😉

Natascha stammt übrigens auch von Eva-Maria Obermann und ja, hier war der Gedanke an Natascha Romanoff aka Black Widow ausschlaggebend für die Auswahl. Wer weiß, vielleicht war auch diese Natascha mal eine Spionin, die Joulky entdeckt hat und sich dann entschieden hat … ich schweife ab, schnell das neue Plotbunny fern halten …

PoiSonPaiNter

© Für Geschichte und Charaktere liegen bei mir. Verwendung oder Weitergabe nicht ohne meine Zustimmung.
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I’m sorry so far there is no translation of this door

PoiSonPaiNter

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