Na, habt ihr schon den Weg durch die Märchenrallye gefunden?
Heute starten wir mit dem ersten Gastbeitrag dieses Märchensommers. Bisher haben wir uns ja recht häufig mit den Brüder Grimm beschäftigt. Mit diesem Gastbeitrag von Carola Käpernick von der Textgemeinschaft widmen wir uns dem wohl berühmtesten Autoren von Kunstmärchen: Hans Christian Andersen.
Hans Christian Andersen – Zwischen Armut, Ruhm und Phobien
In dem Fall des Dichters Hans Christian Andersen trifft das Sprichwort „Eigenlob stinkt“ wohl nicht so gut zu. Sicherlich war er ein begnadeter Schriftsteller, doch er beschüttete sich nicht mit Eigenlob – auch, wenn er es aufgrund der Bekanntheit und der Beliebtheit seiner Werke durchaus verdient hätte. Die breite Öffentlichkeit kennt ihn als Verfasser verschiedener Kunstmärchen, doch er schrieb auch in anderen Genren, was zu seinem eigenen Verdruss aber nur wenige Menschen wahrnahmen. Auch heute ist es vielen unbekannt.
Aus Hans Christian Andersens insgesamt Märchen sind vor allem diese bekannt:
- Das hässliche Entlein,
- Die Prinzessin auf der Erbse,
- Däumelinchen,
- Die kleine Meerjungfrau
- Des Kaisers neuen Kleider
- Die Schneekönigin
- Das Mädchen mit den Schwefelhölzern
Aber er schrieb auch sechs Romane, sieben Reisebücher, 46 Theaterstücke und 1000 Gedichte. Er wollte auf keinen Fall das Bild des „harmlosen Idyllikers“ verkörpern, sondern von den Menschen ernstgenommen werden. Erst acht Jahre, nachdem seine ersten Märchen erschienen sind, fand er sich damit ab, als Dichter für Kinder berühmt geworden zu sein.
Doch, wer war Hans Christian Andersen überhaupt? Was wissen wir über den Schriftsteller, der so viele schöne Kunstmärchen geschrieben hat und somit eine echte Konkurrenz für die Gebrüder Grimm darstellt?
Hans Christian Andersen – eine kleine Biographie
Hans Christian Andersen erblickte am 2. April 1805 in Odense, Dänemark als das Kind eines Schuhmachers und einer Wäscherin das Licht der Welt. Weder seine Mutter noch sein Vater verdienten viel Geld, weshalb er in Armut groß wurde und die Eltern so wenig Geld zur Verfügung hatten, dass es ihnen schwerfiel ihrem Sohn einen Besuch in der Schule zu ermöglichen.
Das soll nun keine Steilvorlage für Kinder sein, die Andersen als Beispiel nutzen, um ihre Aussage zu unterstreichen, dass man auch ohne Schulbesuch berühmt und reich werden kann. Zwar mag das auf ihn zutreffen, doch das Leben in Armut war für ihn kein Zuckerschlecken.
Hintergrundwissen: In dem Märchen „Das hässliche Entlein“ reflektiert Hans Christian Andersen seine eigenen Gefühle sich selbst und seines Erscheinungsbildes gegenüber. Als Junge war er aufgrund seiner Optik und seiner recht hohen Stimme oft Opfer von Mobbing.
Mit nur 14 Jahren verlor Hans Christian Andersen seinen Vater, was nicht nur emotional einen großen Einschnitt in seinem Leben darstellte. Er zog in die dänische Hauptstadt Kopenhagen und arbeitete dort als Schauspieler in einem Theater. In diesem Zusammenhang führte er auch eigene verfasste Texte auf, die die Menschen ansprachen, sodass die Menschen schnell das große Talent erkannten, das in ihm steckte.
Der Direktor des königlichen Theaters nahm Andersen auf und ließ ihn sogar bei sich wohnen. Dank seiner Hilfe besuchte er nach der Lateinschule später auch die Universität und schrieb weiterhin eigene Texte. Seine Werke gibt es heute in mehr als 120 Sprachen. Doch auch Andersen selbst kam viel in den Kontakt mit anderen Ländern, da er ab dem Jahr 1831 leidenschaftlich gerne reiste und sich so oft, wie es ihm möglich war, in andere Länder begab. In diesem Zusammenhang verbrachte er auch einige Zeit in Deutschland.
Hintergrundwissen: Dass viele der Märchen, die Hans Christian Andersen verfasste mit einer augenscheinlich aussichtslosen und schlechten Situation der Protagonisten starten, kommt nicht von ungefähr. Der Schriftsteller verarbeitete in den Geschichten seine persönlichen Traumata, wie die Kindheit in Armut und den Tod des Vaters.
Hans Christian Andersen heiratete nie und hat auch keine Kinder bekommen, wobei diese beiden Aspekte für ihn keine zwingenden Bestandteile eines Happy Ends darstellten – zumindest nicht für sein eigenes Leben. Denn in seiner späteren Autobiographie schrieb er Folgendes: „Mein Leben ist ein hübsches Märchen, so reich und glücklich.“
In dem Alter von 70 Jahren starb Andersen am 4. August 1875 an Leberkrebs und hinterließ der Welt viele schöne Werke, die Kinder und Erwachsene in vielen Ländern auch heute noch in ihren Bann ziehen, aber auch Kritiker finden, die in Märchen nur von wahrwerdenden Träumen lesen möchten.
Hintergrundwissen: Obwohl er selbst sein Leben als hübsches Märchen, reich und glücklich beschreibt, litt Hans Christian Andersen sein ganzes Leben lang unter vielen Phobien. So hatte er unter anderem Angst vor Hunden und aß kein Schweinefleisch, weil er Angst vor dem Parasiten „Trichinae“ hatte, der in Schweinefleisch vorkommen kann. Eine seiner größten Phobien war es allerdings fälschlicherweise für Tod erklärt und lebendig begraben zu werden. Aus diesem Grund schrieb er jeden Abend, bevor er zu Bett ging einen Zettel auf dem er festhielt: „Ich scheine nur tot zu sein“, um sicher zu gehen, nicht lebendig begraben zu werden.
Wer einmal in die eigenen Kindheitserinnerungen zurückreist wird sich bestimmt an eines oder auch mehrere Märchen des beliebten Schriftstellers zurückerinnern. Nicht nur Hans Christian Andersens Leben selbst war also ein hübsches Märchen, sondern auch seine Märchen selbst verzaubern vielen Kindern das Leben und bescheren ihnen ganz besondere Momente. Nicht zuletzt aus diesem Grund gilt Andersen in seinem Heimatland Dänemark als „national treasure“ – also als „Schatz der Nation“.
Zu Ehren von Hans Christian Andersen:
- feiern wir immer am 2. April (dem Geburtstag des beliebten Schriftstellers) den internationalen Kinderbuchtag.
- ließ die dänische Regierung damals eine Statue für ihn bauen, die sich im Königsgarten in Kopenhagen wiederfindet. Andersen konnte diese noch zu Gesicht bekommen, starb jedoch vier Monate später, nachdem sie zu Ehren seines 70. Geburtstags aufgestellt wurde.
- kann man sich heute sein Geburtshaus in Odense ansehen.
- gibt es an der Langelinje Seebrücke eine Statue von der kleinen Meerjungfrau, die in der Originalfassung im übrigen weitaus grausamer ist und kein Happy End findet, wie wir das von der heute bekannten und beliebten Filmadaption gewöhnt sind.
Die Gastautorin
Geboren im Februar 1969, lebt Carola Käpernick in Südbaden. Sie betreibt die Textgemeinschaft als Herzensprojekt und sieht sich als Netzwerkerin für Autor:innen. Zudem schreibt sie eigene Bücher in verschiedenen Genren von der Romanze bis zum Krimi. Märchen liebt sie und hat mit einer ihrer Anthologieausschreibungen auch Märchen für Erwachsene von verschiedenen Autor:innen gesammelt und herausgegeben (Frühlingserwachen im Märchenwald, dass diesen Sommer auch wieder einer der Preise ist).
Homepage: Carola Käpernick
Twitter: @Textgemeinscha1